Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Camino diesen Teil komplett ausspart. Beim Blick in den Befestigungsgraben, durch den wir gestern in die Stadt gelangt sind, sah ich bereits am späten Vormittag die ersten Pilger im Anmarsch auf Pamplona, 3 von ihnen erkannte ich von der Pyrenäenetappe wieder.
Eine Mischung aus Beklemmung und Wut überkam mich, als ich den fast einen Kilometer langen Weg in der Altstadt abschritt, durch den alljährlich die bemitleidenswerten Stiere während des San-Fermin-Festes getrieben werden. Ein perverses Schauspiel! Mir können die Leute, die dabei von den Tieren aufs Horn genommen oder in sonst einer Weise verletzt werden, nicht wirklich leidtun. In weniger als einem Monat ist es wieder so weit. Nur schwer vorstellbar, was dann in den jetzt so beschaulichen Gassen los sein wird. Es ist widerwärtig, warum können Menschen nicht ohne Tierquälereien, nicht nur hier, ihren Spaß haben? Traditionen hin, Traditionen her! Was sind das eigentlich für Traditionen? Sei es drum, es dürfte sinnlos sein, z. B. mit Spaniern über ein Stierkampfverbot zu reden. Wahrscheinlich würde ein Verbot hier einen Bürgerkrieg auslösen. Manchmal verstehe ich uns Menschen nicht. Was macht uns so brutal, nicht nur Tieren gegenüber? Was lässt uns töten und verletzen? Wieso sind wir so primitiv trotz unserer an sich hohen Entwicklungsstufe, unseres geistigen Potentials? Wo verbirgt sich dieses Potential? Ich habe keine wirkliche Antwort, nur die: Dass wir so sind, wie wir sind, ist nichts anderes als Ausdruck unserer großen Unvollkommenheit, Beleg dafür, dass wir noch so elendig weit davon entfernt sind, uns als Krone der Schöpfung feiern zu können. Um dahin zu gelangen, haben wir wohl noch einen langen Prozess des Erfahrens
vor uns, mit reichlich schmerzhaften Nebenwirkun gen. Irgendwann werden wir alle ernten, was wir säen, im Großen wie im Kleinen, im Positiven wie im Negativen. Lassen wir uns überraschen, beklagen wir uns nur später nicht, wenn wir die Quittung für unser Leben, in welcher Form auch immer, präsentiert bekommen.
Am Tor zur riesigen Stierkampfarena, wo die Tiere nach dem langen Leidensweg durch die Gassen später ihre Erlösung finden, endete mein Gang entlang des Encierro und damit meine abschweifenden Gedanken zu einem Thema, dem ich in seiner vollen Tiefe noch nicht gewachsen bin. Vor der Arena befindet sich eine Hemingway-Statur. Hemingway war es wohl auch, der durch einen seiner Romane das Stiertreiben erst zu weltweiter Berühmtheit gebracht hat.
Müde vom langsamen Bummeln ging ich wieder zum Plaza del Castillo und suchte mir dort im Außenbereich eines Cafés ein nettes Plätzchen für meine Mittagspause. Inzwischen war Leben eingekehrt, die Straßencafés waren voll und auf dem Platz herrschte reges Treiben. Ich war ganz in die Beobachtung der Menschen vertieft und
trank mir dabei einen Kaffee nach dem anderen. Ein angenehmes Flair! Irgendwann
zog direkt vor meiner Nase ein langer Pro zessionszug mit Tanzgruppen und folkloristischer Musik vorbei. Unterhaltung zum Nulltarif. Als besonders wohltuend empfand ich, dass es im Bereich der Altstadt kaum für Autos zugelassene Straßen gibt. Erst nach 2 Stunden erhob ich mich zum 2. Teil meiner Stadtbesichtigung. Es war richtig ungewohnt, so in den Tag hineinzugammeln.
Wollte eigentlich ein paar Kirchen besichtigen, aber das war ein Satz mit X. Alle geschlossen! So blieb mir leider auch einer der angeblich schönsten Kreuzgänge Spaniens verwehrt. Schade. Stattdessen wurde ich im Vorbeigehen an einem internationalen Zeitungsladen mit der BILD-Schlagzeile des Tages konfrontiert: Paris Hilton muss ins Gefängnis! Mit einem Mal fragte ich mich, wie ich es die ganze Zeit ohne solch bedeutende Nachrichten aushalten konnte. Alles muss gut sein in der Welt da draußen, solange solche Meldungen die Titelseiten einnehmen - sollte man
meinen. Das Mä del selbst kann einem fast leidtun, ist es doch in gewisser Weise vermutlich ein Opfer ihrer eigenen Kindheit. Aufgezogen in einer glamourösen Scheinwelt, die sie nie verlassen hat, wird die niedliche (na ja, Geschmacksache) Paris langsam von dem erdrückt, was anfangs vielleicht noch aufregend war. Tja, Berühmtheit hat ihren Preis! Paris‘ Leben wird inzwischen so durchleuchtet, dass nichts, aber auch gar nichts mehr intim bleibt. Die Geister, die sie rief, wird sie nicht mehr los. Sie wäre nicht die erste, die an so etwas zerbricht. Hoffen wir, dass sie es nicht tut. Vielleicht durchläuft sie ja
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