Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
benachbarten Luxemburg, wie die Autokennzeichen verrieten. Außer Sprit und Zigaretten soll dort alles um einiges teurer sein. Kurios fand ich allerdings, dass ein offensichtlich nicht am Hungertuch nagendes französisches Paar sich mit 3 Kisten Chardonnay eindeckte. Franzosen bevorraten sich in einem deutschen Aldi mit Weinvorräten!? Was soll das denn bedeuten? Entweder sind es Weinkenner und liefern den Beleg dafür, dass Aldi richtig gute Weine führt, oder sie sind einfach nur so veranlagt wie ich und wollen Wein, der schmeckt und nicht viel kostet. Wobei, weintechnisch sind Franzosen eigentlich keine Kulturbanausen - im Gegensatz zu mir. Aber was wundere ich mich eigentlich? Ich bin früher mal mit Atze, meinem besten Freund, nach Bayern gefahren und hatte eine Kiste Weißbier im Kofferraum – aus Krombacher-Land kommend. Ein Re-Import sozusagen. Normal war auch das nicht… .
Mit dem Abschicken des nicht mehr benötigten Reiseführers und dem Besuch des Pfarramts, wo ich mir einen Pilgerstempel holte, beschloss ich meine selbst auferlegten Pflichten des heutigen Tages. Danach machte ich einen gemütlichen Spaziergang hinüber nach Schengen und nahm die wenigen Sehenswürdigkeiten wie Kirche, Schloss und den „legendären“ Ort des Schengener Abkommens von 1985, ein schmuckloses Denkmal am Moselufer, unter die Lupe. Darüber hinaus versuchte ich den Camino auf Luxemburger Seite zu finden und ihm zu folgen, stellte aber besorgt fest, dass mit dem Verlassen Deutschlands sämtliche Jakobsweg- Markierungen verschwinden. Laut meinem Reiseführer, der ab morgen zum Einsatz kommt, wird das in Frankreich nicht anders sein.
Meine heutige Faulheit machte auch vor meinen Füßen nicht halt, außerdem hatte ich ihnen ja gestern etwas versprochen. Also kehrte ich nach einem kurzen Erkundungsgang und in der Hoffnung, den Weg für morgen gefunden zu haben, zurück zum Moselufer. Dort wurde ich von einer schattigen Parkbank zum Verweilen eingeladen. In der Sonne war es bereits wieder brütend heiß.
Ich nutzte die viele Zeit und setzte mich nun intensiv mit den vor mir liegenden Etappen auseinander. Verfluchte Hacke, da habe ich mir was vorgenommen, ging es
mir durch den Kopf. Neben den fehlenden Wegma rkierungen auf den nächsten 500 Kilometern gibt es nur eine völlig unzureichende Infrastruktur und ganz selten pilgergerechte (nämlich billige) Unterkünfte, wenn es überhaupt welche gibt. Dazu ist mein Reiseführer nicht kartographiert und meine französischen Sprachkenntnisse (hahaha) verhindern jede Form der Kommunikation, da Franzosen es ja ihrerseits nicht so mit Fremdsprachen haben. Da kann ich nur sagen, herzlichen Glückwunsch! Ich wusste nun endgültig, morgen beginnt die eigentliche Herausforderung. Um mir Mut zu machen, dachte ich an alle Pilger, die ich nicht kenne, und die diesen Weg schon vor mir bewältigt haben. Außerdem, was würden wohl die Pilger sagen, die in früheren Zeiten den beschwerlichen Weg auf sich genommen haben, als es noch keine Funktionskleidung, Rucksäcke und ähnliches gab. Also dagegen bin ich doch ein Luxuspilger, bläute ich mir ein.
Sitzen macht müde! Deswegen nutzte ich die Bank nach meinem Wegestudium als Liege und brauchte gar nicht lange, bis ich in einen halbschlafähnlichen Zustand versank. Sehr genau liefen dabei die Stationen des bisherigen Weges im Zeitraffer vor meinem geistigen Auge ab. Der „Film“ legte scheinbar besonderen Wert auf Detaildarstellungen, wie Käfer und Kriechtiere, die meinen Weg kreuzten. Keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte, wahrscheinlich soll ich nur aufpassen, wo ich hintrete.
Spannend wurde es, als ich in meinem Trancezustand den Weg schon mal ein paar Stationen fortsetzte. Was ich da zu sehen bekam, hat mich gar nicht erbaut. Ich verlief mich ständig und musste einmal in einem Wald übernachten, aus dem ich nicht mehr herausgefunden hatte. Wenn Leute zu sehen waren, verweigerten die mir ihre Hilfe, da ich nicht französisch spreche, und sie ließen mich einfach stehen. Ich sah mich ziemlich ratlos, wusste nicht mehr, was ich machen sollte, besonders, als es dann auch noch anfing, wie aus Kübeln zu regnen... .
Irgendwann sah ich weit über mir ein gutes Dutzend großer Vögel, die unter tiefblauem Himmel ihre Flugkünste präsentierten. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass ich wieder in der Gegenwart angelangt war. Ich muss über eine Stunde „weg“ gewesen sein!
Nach insgesamt fast 3 Stunden
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