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Aber bitte mit Sake

Aber bitte mit Sake

Titel: Aber bitte mit Sake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Phillips
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weil der Comedian auffällig schnieft. Offenbar ist er erkältet. Außer mir scheint sich bei Tisch aber niemand darüber zu wundern. Als ich das Geschniefe nicht mehr ertragen kann, halte ich inne und wühle in meiner Handtasche. Dem armen Mann muss geholfen werden!
    »Hier«, sage ich und reiche ihm ein Taschentuch. Aber er blickt mich verwundert an. Kyoko wirft mir einen tadelnden Blick zu, während Henry schallend anfängt zu lachen. Habe ich etwas falsch gemacht?
    Zögernd nimmt der Comedian mein Taschentuch entgegen. »Äh …«
    »Ich dachte, wegen des Schnupfens.«
    »Was meinen Sie?«, fragt er.
    »Na ja, Ihre Nase. Sie sind erkältet, oder? Ich dachte, Sie brauchen vielleicht ein Taschentuch. Zum Naseputzen.«
    »Naseputzen? Hier?« Er zieht ein weiteres Mal die Nase hoch und steckt das Tuch weg. Etwas verwundert ziehe ich ein zweites Tuch aus meiner Tasche und schnäuze mir dezent die Nase. Jetzt wirft mir Kyoko einen völlig entgeisterten Blick zu. Ich halte inne. Wenn meine Zimmernachbarin die Kontrolle über ihre Gesichtszüge verliert, muss ich wirklich einen schlimmen Fehler gemacht haben.
    »Was ist denn los? Sie sehen aus, als hätten Sie ein Gespenst gesehen!«
    »Ha ha ha!« Henry kriegt sich nicht mehr ein vor Lachen. »Gib mir auch eins!« Er streckt mir seine Hand entgegen. Ich reiche auch ihm ein Taschentuch hinüber und verfolge, wie er sich laut schnäuzend die Nase putzt. Mittlerweile ruht die Aufmerksamkeit der umliegenden Tische auf uns. Etliche Japaner scheinen verwundert, einige von ihnen schütteln die Köpfe und blicken pikiert zur Seite.
    »Kann mir mal jemand sagen, was hier los ist?«, frage ich erstaunt.
    »Nun, sagen wir es so: In der japanischen Kultur schickt es sich nicht, ein Taschentuch in der Öffentlichkeit zu verwenden«, antwortet Kyoko.
    »Ach, aber laut die Nase hochziehen geht, oder wie?«, platzt Henry heraus.
    »Sich bei Tisch die Nase zu putzen ist einfach unangenehm.« Kyoko macht ein spitzmäusiges Gesicht.
    »Die Nase hochzuziehen auch.« Henry und Kyoko blicken sich mit starrer Miene an. »Sie müssten sich doch langsam an die japanischen Tischsitten gewöhnt haben«, sagt Kyoko leise.
    »Wollen Sie damit sagen, ich habe keine Manieren?«, braust Henry auf. »Ich jedenfalls schlürfe nicht beim Essen und ziehe auch nicht die Nase hoch!«
    »Erst durch das Schlürfen entfaltet sich das Aroma der Ramen richtig, außerdem ist es eine Respektbekundung dem Gastgeber gegenüber. Das macht man so, es ist ein Teil der japanischen Esskultur. Und sich bei Tisch die Nase zu putzen, ist wirklich ungehörig.«
    »Für Sie vielleicht. In unserem Kulturkreis putzt man sich die Nase, anstatt sie hochzuziehen. Und schlürfen tut man auch nicht.« Gerade als Kyoko antworten will, ertönt ein lauter Song aus den Boxen. Verwundert blicke ich auf, denn etliche Kellner und Passagiere von den anderen Tischen stehen auf und kommen zu uns herüber.
    »Happy birthday to you, happy birthday to you!«, tönt eine eigenwillige Songinterpretation des bekannten Geburtstagsliedes durch den Saal. Sowohl die Kellner als auch die Passagiere klatschen begeistert in die Hände. Henry grinst und bedankt sich.
    »Hast du etwa Geburtstag?«, rufe ich zu ihm hinüber.
    »Ja. Und ich werde jetzt etwas tun, was ich schon lange machen wollte«, antwortet er und springt auf, klettert auf seinen Stuhl, um von dort auf den Tisch zu steigen und zwischen den Schalen ein Tänzchen aufzuführen. Wild dreht er sich im Kreis. Kyoko beobachtet ihn mit steinerner Miene.
    »Ich glaube, für mich ist es Zeit zu gehen.« Sie faltet ihre Serviette ordentlich zusammen, legt sie auf den Tisch und blickt mich an. »Entschuldigen Sie vielmals, aber ich muss mich jetzt leider verabschieden. Ich möchte nicht unhöflich sein, aber bei diesem Benehmen laufe ich Gefahr, es zu werden.« Ohne einen weiteren Kommentar verlässt Kyoko nach einer kurzen Verbeugung trippelnden Schrittes den Speisesaal, während Henry sich immer noch auf dem Tisch um seine eigene Achse dreht. Die Kellner – die meisten von ihnen sind keine Japaner, sondern stammen aus Südamerika und Indonesien – lassen sich von seiner Begeisterung anstecken und klatschen weiter in die Hände. Einige Passagiere stimmen zaghaft in den Gesang mit ein, die meisten aber setzen sich brav wieder auf ihre Stühle. Als Henry endlich von dem Tisch hinabsteigt, drücke ich ihm links und rechts einen Kuss auf die Wange.
    »Happy birthday«, füge ich hinzu und lache ihn

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