Abgeferkelt: Roman (German Edition)
Boden.«
8.
B lock, Bleistift, Straßenkarte. Digitalkamera. Und eine Wegbeschreibung, die eher bemüht als hilfreich war: »Bleiben Sie immer auf der Bundesstraße, bis Sie nach Eberswachteln reinkommen«, hatte Heinz Sperling gesagt. »Hinter dem Ortsschild geht’s dann gleich rechts ab. Oder war’s links? Egal, an der Ecke steht jedenfalls ein Haus. Da müssen Sie dran vorbei, und wenn mich nicht alles täuscht, kommen dann auch schon die ersten Hinweisschilder auf die Züchter-Initiative ›Deutsches Turbo-Schwein‹. Falls nicht, fragen Sie einfach die Einheimischen, okay?«
Derart gerüstet, startete Kati zu ihrem ersten Auftrag für die Grümmsteiner Zeitung. Dabei war ihr in zweifacher Hinsicht flau im Magen: zum einen, weil sie nicht wusste, was sie inmitten von Turbo-Schweinen zu erwarten hatte. Zum anderen, weil sie den Eindruck nicht loswurde, dass man versuchte, sie zu vergraulen. War es möglich, dass Jonas Larsen und die übrigen Kollegen es ihr besonders schwer machten? Aber welchen Grund sollten sie dazu haben? Schließlich hatte sie ihnen doch gar nichts getan.
Sie bremste ab, als sich ein Traktor mit Anhänger vor ihr in den Verkehr einreihte. Toll, sollte sie den jetzt etwa überholen? Sie war erst wenige Kilometer aus der Stadt herausgefahren, und die einspurige Bundesstraße war in Wahrheit deutlich kurviger, als es auf der Karte den Anschein hatte. Außerdem kam auch schon die nächste Ortschaft näher, da überholte man sowieso nicht. Wie hieß das Kaff hier? Diesterpützerlitz? Wieso war eigentlich noch niemand auf die Idee gekommen, eine Autobahn in diese Landschaft zu setzen? Platz dafür wäre ausreichend vorhanden.
Sie ließ Diesterpützerlitz, Wiesterpützerlitz und Bengersheide hinter sich, ohne auch nur den Hauch einer Chance zu bekommen, den Trecker zu überholen. Dafür schien die Sonne, und die grünen Wiesen erstreckten sich leuchtend bis zum Horizont. Kati stellte das Autoradio an, ließ sich von einem Popsong einlullen und zählte bis zum Ortsausgang von Krebbenstedt sieben Höfe, auf denen man laut Werbetafel Eier, Milch und Heidehonig kaufen konnte. Zudem saß alle drei Kilometer ein Rentner am Straßenrand, der »Bickbeeren und Kronsbeeren« anbot – was auch immer das sein mochte.
Da ihr diese Frage keine Ruhe ließ und der Traktor einfach nicht verschwinden wollte, fuhr Kati beim nächsten Stand rechts ran und stieg aus. »Entschuldigen Sie bitte«, sprach sie den älteren Herrn dahinter an. »Was verkaufen Sie hier?«
»Seh’n Se doch«, kam die wenig freundliche Antwort.
Kati blickte auf einen wackligen Tapeziertisch, auf dem eine ganze Batterie von randvollen Obstschälchen angeordnet war. »Blaubeeren!«, rief sie aus. »Das ist es also!«
»Was ham Se denn gedacht?«
»Nichts weiter, ich habe mich einfach nur gewundert, was Bickbeeren sein sollen. Was kostet eine Schale?«
»Fünf Euro.«
»Oh. Und … das daneben sind Preiselbeeren, oder?«
Missbilligend verzog der Mann das Gesicht und korrigierte: »Kronsbeeren. Man sagt Kronsbeeren dazu.«
»Tatsächlich? Das wusste ich nicht. Ich bin nicht von hier, wissen Sie.«
»Dann kostet die Schale sechs Euro.«
Der spinnt wohl, dachte Kati. Diese Art von Touristen-Nepping konnte er bei jemand anderem versuchen, aber nicht bei ihr. Sie rang sich ein Lächeln ab und erwiderte: »Danke, aber unter diesen Umständen bleibe ich lieber bei den Preiselbeeren aus dem Supermarkt.«
»Was, dieses Plantagen-Zeug?« Der alte Mann schnaubte verächtlich. »Das ist doch alles künstlich hochgezüchtet!«
»Aber wenigstens fair gehandelt.« Damit drehte sie sich um, stieg ins Auto und gab Gas.
Diesen Zwischenstopp hätte sie sich schenken können, überlegte Kati, als sie kurze Zeit später wieder hinter dem Traktor hertuckerte und keine Möglichkeit sah, ihn zu überholen. Jetzt hatte sie zwar ihren Wortschatz erweitert, aber unnötig Zeit verloren. Bickbeeren. Sie schüttelte den Kopf. Wo war sie hier bloß gelandet?
In diesem Moment meldete der Verkehrsfunk einen Stau vor dem Elbtunnel in Hamburg, und ihr wurde klar, wie weit sie sich von ihrem alten Leben in Frankfurt entfernt hatte: Die Straßenlage in und um Hamburg war den Radiosendern dort mit Recht keine Randbemerkung wert. Normalerweise hatte Kati um diese Zeit immer in der Redaktion gesessen und eines der vielen Pakete geöffnet, die die Kosmetikfirmen ihr zuschickten. Ihre »Recherchen« bestanden damals noch darin, Tuben und Tiegel zu öffnen, daran zu
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