Abgeferkelt: Roman (German Edition)
Achseln. »Gewohnheit, schätze ich. Unser verstorbener Verleger hat grundsätzlich keine Frauen eingestellt, außer im Sekretariat oder in der Personalabteilung.«
»Ach, und wieso?«
»Er war wohl der Ansicht, dass der Beruf des Redakteurs zu anstrengend für eine Frau ist. Keine Ahnung, ob das stimmt, aber Fakt ist, dass ich mein Praktikum hier gleichzeitig mit Tim angefangen habe.« Sie warf Kati einen vielsagenden Blick zu. »Ihm haben sie nach zwei Monaten einen Volontärs-Vertrag gegeben, und ich hänge weiter als billige Dauer-Praktikantin in der Warteschleife. Dabei habe ich an der Uni einen weitaus besseren Abschluss gemacht als er und bin auch in der Rechtschreibung fitter.«
»Und jetzt? Bewirbst du dich weiter?«
»Klar, schon die ganze Zeit. Aber Volontärs-Stellen sind in diesen Tagen rar gesät. Ehrlich gesagt muss ich schon froh sein, dass ich hier überhaupt erste Berufserfahrungen sammeln darf. Auch, wenn ich nur sieben Cent für jede Zeile bekomme, die ich veröffentliche.«
Kati starrte sie an. »Sieben Cent pro Zeile? Das ist ja die reinste Ausbeute!«
»Tja, aber schön zu wissen, dass Tim sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, bloß weil er keine Gebärmutter hat.« Charlotte winkte ab. »Ach, was soll’s, meckern nützt auch nichts. Immerhin lässt es hoffen, dass sie dich eingestellt haben, oder? Ich glaube, du bist die erste Frau im Redaktions-Team seit der Verlagsgründung.«
Nachdenklich kaute Kati an ihrer Unterlippe. Ob die hausüblichen Vorbehalte gegen Frauen als Journalisten die Ursache dafür waren, warum Jonas Larsen sie so herablassend behandelte? Immerhin war es die erste halbwegs schlüssige Erklärung für sein Verhalten. »So, wie ich das sehe, müssen wir beide dringend zusammenhalten«, sagte sie schließlich und lächelte Charlotte an. »Aber was hat es nun mit dieser Klospruch-Studie auf sich, über die ich berichten soll?«
»Das ist eine ziemlich merkwürdige Geschichte. Dr. Gesine Brinkmann-Kühler, die Leiterin des Brentano-Gymnasiums, hat ein ganzes Jahr lang sämtliche Sprüche dokumentiert, die ihre Schüler auf die Klotüren geschmiert haben. Daraus sollen sich angeblich wegweisende Erkenntnisse zum Geschlechterverhältnis ablesen lassen. Am besten, du hörst dir die Sache einfach mal an.«
»Okay, und wo finde ich diese Schule? Wieder irgendwo im Landkreis?«
»Nee, das ist hier gleich um die Ecke. Fotografieren musst du allerdings selbst.«
Kati seufzte. »Ich hoffe, dass es mir diesmal gelingt, dabei sauber und trocken zu bleiben.«
»Du meinst wegen deinem Termin bei den Turbo-Schweinen? Hab schon davon gehört.« Charlotte schnaubte verärgert. »Nimm dir das bloß nicht so zu Herzen, die haben dich extra da rausgeschickt, um es dir schwerzumachen. Das läuft mit jedem so, der hier neu anfängt. Ist so eine Art Ritual.«
»Ritual? Und was haben sie mit dir an deinem ersten Tag gemacht?«
»Frag nicht! Ich war Exklusiv-Berichterstatterin bei einem Wet-T-Shirt-Wettbewerb in der einzigen Disco, die wir hier haben. Der scheußlichste Abend meines Lebens.«
»Verstehe.« So langsam dämmerte es Kati: Wer diese Kollegen an seiner Seite hatte, brauchte keine Feinde mehr.
11.
D as Brentano-Gymnasium war in einem roten Ziegelbau untergebracht, der sehr idyllisch auf einem parkähnlichen Schulgelände lag. Selbst ein kleiner Teich gehörte dazu, auf dem ein paar Schwäne und Enten schwammen. Kati hatte noch nie eine schönere Schule gesehen. Doch das Büro, in dem Dr. Gesine Brinkmann-Kühler sie empfing, wirkte überraschend heruntergekommen: Unter der Last erkalteten Nikotins wellte sich die Rauhfasertapete an den Wänden, und der verschlissene, braungrüne Teppich war übersät mit Flecken.
»Setzen Sie sich«, sagte die Schulleiterin mit einer Stimme, die durch jahrzehntelanges Rauchen einige Oktaven tiefer als normal zu sein schien. »Nehmen Sie ’nen Kaffee?«
»Nein, vielen Dank.«
»Dann vielleicht Tee? Wasser? Brandy?«
»Wie bitte?«
»Nun gucken Sie nicht so indigniert. Ein kleiner Schluck zwischendurch hält mich zuverlässig davon ab, hier Amok zu laufen.« Zur Bekräftigung ihrer Worte zog sie eine angebrochene Flasche aus der Schreibtischschublade und gab einen großzügigen Schuss der goldbraunen Flüssigkeit in ihren Kaffeebecher. Dann sah sie Kati fragend an. »Auch einen? Macht locker.«
»Nun ja … Wenn Sie vielleicht Tee dazu hätten?«
»So gefallen Sie mir schon besser.« Die Schulleiterin griff zu der
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