Abgeferkelt: Roman (German Edition)
überlagert von dem Wunsch, endlich Raum zu schaffen für Neues.
»Hey, bist du noch dran?«, fragte sie am anderen Ende der Leitung.
»Ja, entschuldige, ich … ich hatte einen sehr anstrengenden Tag.«
»So klingst du auch. Was war denn los?«
»Ich habe eine andere Frau kennengelernt«, hätte er am liebsten geantwortet. »Die Kinder mögen sie, ich bin verrückt nach ihr und benehme mich seit zwei Tagen wie ein liebeskranker Idiot …«
»Ach, im Verlag geht alles drunter und drüber«, entgegnete er stattdessen.
»Weißt du inzwischen, wer der neue Eigentümer ist?«
»Ich wünschte, ich wüsste es. Manchmal denke ich, nicht mal Buddington hat eine Ahnung. Das scheint mir die merkwürdigste Erbschaft zu sein, die jemals gemacht wurde.«
»Hab Geduld, du wirst es schon noch erfahren.«
»Die Frage ist nur, ob ich dann auch damit leben kann. Denn wenn der Verlag tatsächlich an Tredbeck verkauft werden sollte, bin ich als Erster meinen Job los.«
»Ein guter Journalist wie du findet ganz sicher schnell etwas Neues.«
»Aber nicht in Grümmstein.«
Isabel seufzte abgrundtief. »Nein, nicht in Grümmstein. Aber es gibt durchaus noch andere Orte auf der Welt, wo es sich zu leben lohnt.«
»Du hast dich hier noch nie wohl gefühlt, oder?«
»Es ist provinziell, Jonas.«
»Mag sein, aber die Kinder haben ihre Freunde hier, und meine Eltern werden auch nicht jünger. Außerdem bin ich als alleinerziehender, voll berufstätiger Vater auf deren Hilfe angewiesen, wie du dich vielleicht erinnerst.«
»Jetzt komm mir nicht wieder mit dem Vorwurf, dass ich mich hier in Hamburg auf Kosten unserer Kinder selbst verwirkliche.«
»So etwas habe ich noch nie zu dir gesagt.«
»Aber gedacht«, ereiferte sich Isabel. »Und deine Mutter spricht es aus, wann immer sie mich ans Telefon bekommt.«
»Sie ist eben enttäuscht.«
»Sind wir das nicht alle irgendwie? Leben ist das, was dazwischenkommt.«
Das klang so resigniert, dass Jonas aufmerksam wurde. »Alles in Ordnung bei dir?«
»Willst du eine ehrliche Antwort darauf?«
»Würde ich sonst fragen?«
Sie schien mit sich zu ringen und sagte dann: »Stefan und ich haben uns getrennt.«
»Wie – getrennt?«
»Schluss. Aus. Vorbei.« Isabel lachte freudlos auf. »Er hat mich für eine seiner Studentinnen verlassen. Und nach allem, was ich dir und den Kindern angetan habe, nennt man das wohl ausgleichende Gerechtigkeit.«
»Das tut mir leid für dich, Isa«, entgegnete er und war ehrlich betroffen.
»Muss es nicht. Ich hab’s verdient.«
»Niemand verdient es, dass ihm weh getan wird. Red dir das also gar nicht erst ein.«
»Jeder andere betrogene Ehemann hätte jetzt vor lauter Schadenfreude einen Luftsprung gemacht – du bist einfach zu gut für diese Welt, Jonas.«
»Und lässig wie ein Jägerzaun.«
Das brachte Isabel zum Lachen, aber diesmal ohne Wehmut. »Wer sagt denn so was?«
»Hanna, das kleine Biest. Ich war so perplex, dass ich glatt vergessen habe, ihr die Ohren langzuziehen.«
»Das hast du noch nie gekonnt – die Kinder bestrafen. Dazu hast du ein viel zu weiches Herz.«
»Ich werte das mal als Kompliment.«
Eine kleine Pause entstand, in der sie sich gegenseitig atmen hörten.
»Weißt du, was das Schlimmste ist?«, fragte Isabel dann.
»Na?«
»Dass ich jetzt nicht mehr weiß, wo ich hingehöre. Bis vor kurzem bin ich jeden Morgen in dem Bewusstsein aufgewacht, dass ich meine Familie im Stich gelassen habe und einen hohen Preis dafür zahle. Aber weil ich das alles für Stefan getan habe, ergab es trotzdem einen Sinn. Und genau der ist jetzt weg.«
Jonas hatte keine Ahnung, was er darauf antworten sollte. Noch vor wenigen Tagen hätte er seiner Frau ohne zu zögern versichert, dass ihr Platz selbstverständlich bei ihm und den Kindern sei, ganz egal, was in der Vergangenheit auch vorgefallen sein mochte. Jetzt aber dachte er an Kati und die Wärme ihres gertenschlanken Körpers unter seinen Händen. Mit ihrem geschminkten Gesicht und den modischen Klamotten war sie genau der Typ Frau, um den er normalerweise einen Riesenbogen gemacht hätte. Nie hätte er für möglich gehalten, dass sie beide jemals etwas verbinden könnte. Und dass er sich ausgerechnet in ihrer Gegenwart so lebendig fühlen würde wie schon lange nicht mehr.
»Es fällt mir schwer, dieses ganze Chaos richtig einzuordnen«, sprach Isabel weiter. »Waren wir mit unserer Ehe wirklich am Ende – oder war das mit Stefan eine Scheißidee, und mir ist das
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