Abgeferkelt: Roman (German Edition)
Tür hinaus. »Wir rufen dich an.« Doch sobald sie draußen waren, sagte sie so laut, dass Jonas es hören konnte: »Spinnt der? Natürlich lassen wir uns anquatschen. Sonst könnten wir ja wohl gleich zu Hause bleiben.«
»Aber echt«, kam es noch von Louisa, dann waren die beiden Mädchen außer Hörweite.
Jonas lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand und kam sich plötzlich so alt vor wie Methusalem. Viel Zeit zum Durchatmen blieb ihm allerdings nicht, denn oben im ersten Stock gerieten Benny und Sophie lautstark aneinander.
»Gib sofort die Fernbedienung zurück«, brüllte seine zwölfjährige Tochter. »Ich bestimme, wann wir umschalten und wann nicht!«
»Ich will deine blöde Musiksendung aber nicht sehen«, beschwerte sich Benny.
»Mir doch egal. Ich war zuerst da.«
»Geh nach unten und guck deinen Scheiß im Wohnzimmer.«
»Ich will aber hier oben bleiben!«
»Da haste halt Pech!«
»Wenn hier einer Pech hat, dann bist du das!«
Das Nächste, was Jonas hörte, war ein Poltern, dicht gefolgt von klatschenden Geräuschen, Japsen und Gekreische. »Hey, ihr zwei!« Hastig nahm er zwei Treppenstufen auf einmal. »Was ist los?« Diese Frage hätte er sich eigentlich schenken können. Schon vom Flur aus sah er, wie Sophie über ihrem kleinen Bruder kauerte und sich gerade anschickte, ihm einen seiner Socken in den Mund zu stopfen. Benny wiederum versuchte, einen von Sophies Hosenträgern so um ihren Hals zu wickeln, dass er sie damit strangulieren konnte. Der Stein des Anstoßes, die Fernbedienung, lag in ihre Einzelteile zerlegt und nunmehr unbeachtet auf dem Fußboden.
»Seid ihr komplett irre?!«, fuhr Jonas seine Kinder an und eilte herbei, um sie zu trennen. »Wollt ihr euch gegenseitig umbringen, oder was versucht ihr da?«
»Ich will bestimmen, was wir im Fernsehen angucken«, sagte Sophie trotzig.
»Du willst ja nur deinen verliebten Flori sehen, das ist alles!«, petzte Benny.
»Gar nicht wahr!«, widersprach seine Schwester und wollte wieder auf ihn losgehen, doch Jonas packte sie am Kragen.
»So nicht, Fräulein! Und wer zum Henker ist der verliebte Flori?«
»Na, der Silbereisen aus dem Fernsehen. Auf den steht sie doch!«, petzte Benny.
Volksmusik? Jonas wurde starr vor Schreck, was Sophie sofort ausnutzte, um sich aus seinem Griff zu befreien.
»Ich hau dich noch mal!«, kreischte sie und stürzte sich auf ihren Bruder, der unter dieser Attacke sofort zu Boden ging.
»Jetzt reicht’s, ihr beiden! Jeder auf sein Zimmer, sofort. Und Fernsehen gibt’s heute für keinen mehr von euch, verstanden?«
»Aber …«
»Keine Widerrede!« Jonas bugsierte seine Tochter in das eine, seinen Sohn in das andere Zimmer und ließ die Türen krachend hinter den beiden zufallen. »Das Fernsehkabel ziehe ich ab, damit ihr nicht auf dumme Ideen kommt«, rief er. »Ansonsten will ich euch beide heute Abend weder sehen noch hören, okay?«
Die daraufhin eintretende, trotzige Stille wertete er optimistisch als Zustimmung und stieg die Treppe nach unten. Gute Güte, was für ein Tag! Erst dieses Gefühlschaos wegen Kati und jetzt der Kleinkrieg zu Hause. Eigentlich hatte er nicht übel Lust, sich zu besaufen, wusste aber, dass er nicht mehr als ein Glas Wein trinken durfte – schließlich musste er die Zwillinge in ein paar Stunden schon wieder mit dem Auto abholen. Aber wenigstens dieses eine Glas würde er sich gönnen.
Doch kaum, dass er sich hingesetzt und den ersten Schluck getrunken hatte, klingelte das Telefon. Und wer wäre besser geeignet gewesen, einen Abend wie diesen noch einen Tick weniger entspannt zu gestalten? Richtig, Isabel. Seine Frau.
»Wie läuft es bei euch?«
»Wie man’s nimmt«, entgegnete er müde und schilderte ihr in knappen Sätzen, welches Spektakel seine Kinder ihm heute geboten hatten.
»Oje, dann ruf Benny und Sophie jetzt lieber nicht ans Telefon, sonst geht das Theater gleich wieder los«, sagte Isabel und lachte ein bisschen. »Florian Silbereisen? Wie kommt die Kleine nur auf diese Idee?«
Es lag ihm auf der Zunge, zu sagen, dass die Frauen in seiner Familie anscheinend alle einen Hang zu einem leicht sonderbaren Liebesleben hatten, ließ es dann aber bleiben. Er fühlte sich zu erschlagen, um mit Isabel zum wiederholten Mal die Gründe für das Scheitern ihrer Ehe durchzukauen. Alles, was es dazu zu sagen gab, schien ihm gesagt zu sein, und der Schmerz und die Enttäuschung, die monatelang seine treuesten Begleiter gewesen waren, wurden plötzlich
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