Abgehakt
verzaubert, und das ist das Besondere.«
»Verzaubert. Wie sich das anhört. Ich glaube, was er für mich empfindet, ist eher Mitleid.«
»Da irren Sie sich aber gewaltig. Glauben Sie mir, ich kenne meinen Onkel gut.«
Anne bezweifelte Franziskas Worte, hatte aber eigentlich keine Lust, weiter über das Thema zu diskutieren. Sie beobachtete die junge Frau. Franziska war sehr schlank und wesentlich größer als sie selbst. Die Sommersprossen auf ihrer Stupsnase verliehen ihr ein keckes Aussehen. Ihre schmalen Lippen betonte sie mit einem scharlachroten Lippenstift.
»Er ist ein toller Mann«, hörte sie Franziska sagen. »Wenn ich jemals so einen an die Angel kriege, lasse ich ihn nicht wieder vom Haken.«
»Wenn er so toll ist, warum hat er dann keine Freundin?«
»Weil er zurzeit jeder tieferen Beziehung ausweicht. Er kennt eine Menge Frauen und hätte sicher auch keine Probleme weitere kennenzulernen. Er hat das gewisse Etwas.«
Damit lag seine Nichte nicht falsch, überlegte Anne. Wenn sie versuchte, ihn so objektiv wie möglich zu betrachten, musste sie zugeben, dass er ein außergewöhnlich attraktiver Mann war. Sein Lächeln war entwaffnend, sein Blick offen und direkt.
»Sicher flirtet er auch mal hier und da«, sprach Franziska weiter. »Aber seit er vor acht Monaten geschieden wurde, kam eine neue Beziehung für ihn nicht infrage. Er hat Angst vor der Hingabe, die immer die Gefahr einer Verletzung mit sich bringt. Von dieser Art Schmerz hat er genug, hat er mir mal gesagt.«
»Warum hat er sich scheiden lassen?«
»Karin war einfach nicht die Richtige für ihn. Sie hat nie wirklich zu ihm gepasst. Sie war irgendwie abgehoben und nicht so ein bodenständiger Typ wie Carsten. Wahrscheinlich haben sie viel zu schnell geheiratet. Ich glaube, sie kannten sich erst ein halbes Jahr. Dafür hielt das Ganze erstaunlicherweise sieben lange Jahre, wobei die letzten beiden schon Quälerei waren, wenn Sie mich fragen.«
Franziska fuhr Anne mit den Fingern durch die Haare und zupfte hier und da eine Strähne zurecht. »Wow, das wird gut!«, sagte sie voller Überzeugung. »Mögen Sie Meg Ryan?«
»Ja, die mag ich sehr.«
»Dann werden Sie Ihre neue Frisur auch mögen. Sie sehen genauso aus, nur in braun.«
»Sie machen mich neugierig.«
»Gleich bin ich fertig, nur den Nacken noch.«
Als Franziska die kalte Schere am Nacken entlangführte, zuckte Anne zusammen. Sie durchlebte noch einmal den Moment, als sich die kalte Klinge des Mannes ihren Nacken hochgeschoben hatte. »Moment, bitte!«, sagte sie.
Franziska betrachtete sie mit ihren großen, grünen Augen aufmerksam, während Anne sich den Nacken rieb, um das Gefühl loszuwerden.
»Alles in Ordnung?«
»Nein.« Tränen glitzerten in ihren Augen, und sie erzählte Franziska von ihrem Erlebnis.
Die junge Friseurin war währenddessen vor ihr in die Hocke gegangen und hatte Annes Hände in ihre genommen.
»Es wird alles wieder gut, ich weiß es.«
Dankbar sah Anne die junge Frau an, die so voller Lebensfreude war. Wie gern wollte sie ihr glauben. Aber sie konnte es nicht.
»Den Nacken lassen wir so, wie er ist. Das ist prima! Ich hole jetzt einen Spiegel, und Sie bereiten sich auf eine neue Anne vor.«
Als Anne ihr Spiegelbild betrachtete, liefen ihr wieder Tränen über die Wangen.
»So schlimm?«
Anne schüttelte den Kopf. »Nein. Im Gegenteil. Es sieht wirklich gut aus. Sie haben das toll hingekriegt.« Sie wischte sich die Tränen mit den Fingern weg. »Ganz ehrlich! Vielen Dank!«
Franziska nahm sie spontan in den Arm. Diese Anne war ihr sehr sympathisch. Kein Wunder, dass ihr Onkel sie mochte.
Nachdem sie aufgeräumt hatten, saßen die beiden Frauen bei einem Tee zusammen.
»Glaub mir«, sie waren inzwischen zum Du übergegangen, »ich habe noch nie gesehen, dass Carsten eine Frau so ansieht, wie er dich heute Morgen angesehen hat.«
Anne musste lächeln. Obwohl Franziska gerade einundzwanzig Jahre jung war, vermittelte sie den Eindruck, eine Expertin in Sachen Liebe zu sein.
»Ich weiß das genau, weil auch mein Freund nur mich auf so eine Weise ansieht.« Sie schenkte erneut Tee ein.
»Woher weißt du so viel über Carsten und sein Liebesleben?«, wollte Anne wissen.
»Ich verbringe viel Zeit mit ihm, weil meine Eltern und Geschwister nicht hier wohnen. Und deshalb weiß ich auch, dass Carsten seit der Scheidung noch mit keiner Frau so richtig ausgegangen ist.«
»Na, ausgegangen sind wir auch noch nicht. Unsere Treffen waren eher
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