abgemurkst: Maggie Abendroth und das gefährliche Fischen im Trüben (German Edition)
Ferrari, Sonnenuntergang, Traumschiff … So mancher Damenbrust entrang sich ein sehnsüchtiger Seufzer, der garantiert nichts mit progressiver Muskelentspannung zu tun hatte. In seiner Gegenwart verblasste die Erinnerung an Dr. Brinkmann und die Schwarzwaldklinik schneller als Harry Potters Zaubertinte auf altem Pergament. Denn der Mann hatte einen entscheidenden Vorteil – er war hier, und er war echt.
Meines Erachtens gehörte der Typ ins Fernsehen – oder war er vielleicht aus dem Fernsehen? Ein entlaufener B-Schauspieler, der hier den Klinikchef mimte? Kein schlechter Plot für eine Komödie. Ich sollte bei Gelegenheit mal darüber nachdenken.
Der letzte Tisch am großen Panoramafenster mit Blick in den mittelalterlichen Innenhof bot mir die perfekte Deckung, denn ich war nicht darauf aus, doch noch irgendeinem versprengten Kurgast zu begegnen, der wild auf eine Unterhaltung war. Und das waren alle. Durch die Bank. Bei Antritt der Kur erhielt hier jeder mit dem Zimmerschlüssel und seinem Therapie-Stundenplan so eine Art unsichtbaren Freibrief zum Bequatschen und Zutexten wildfremder Menschen mit der Lizenz zum Duzen. Alles schon in der Kurtaxe mit drin.
Egal, wo man sich gerade befand, wurden zu den Worten auch gleich die Narben hergezeigt:Hemden wurden hochgehoben oder Hosenbeine aufgerollt, um die Klagen über Ärztepfusch oder schlagende Ehemänner mit handfesten Beweisen zu untermauern.
Waren Narben und Holzbeine ausreichend beklatscht worden, wartete die Bande sabbernd vor Glück auf die nächste Horrorgeschichte. Es musste wenigstens eine gelungene Ehekrise sein, in der eine ordentliche Prügelei, zerschlagener Hausrat und ein ertränktes Haustier vorkamen.
Der Wucht dieser Lebensbeichten, die mir überall unvermittelt wie Schrapnelle um die Ohren flogen, galt es, geschickt auszuweichen, vor allem weil gegen all diese Schicksale die Zusammenfassung meiner letzten zwei Jahre wie Ferien auf Saltkrokan klang.
Ich war nur eine sitzengelassene Medienfuzzi-Liesel, Abteilung Drehbuch/Comedy, die mit einer Schreibblockade und so gut wie mittellos in ihrer alten Heimat Bochum festsaß, weil sie in Köln ihr Gesicht verloren hatte. Meinen Aushilfsjob als Sekretärin in einem Bestattungsinstitut hatte ich nur mit knapper Not überlebt – Weihnachten hatte ich vier Stunden mit zwei Leichen im Bestattungskühlhaus verbracht und war beinahe selbst die dritte Leiche geworden. Zum Ausgleich hatte das Schicksal mir einen schwulen Kommissar, einen dicken Kater, einen inhaftierten finnischen Thanatopraktiker, einen abwesenden Klaviervirtuosen und ein Haus mit Garten in mein Leben gespült … so what?!
Gegen zwanzig Jahre vom eigenen Mann verprügelt, seit sechs Jahren nach einem Treppensturz gelähmt und schizophrene Schwiegermütter, die in Zungen redeten, konnte ich mit meinem Curriculum vitae nicht anstinken. Das, was mein lieber Freund Winnie ›ein Trauma‹ nennt, reicht hier gerade mal für ein müdes Achselzucken; dafür wird einem hier noch nicht mal aufmunternd die Schulter getätschelt.
Und mich damit unserer Maltherapeutin, der fischigen Schröder-Fröse, auszuliefern, dicke schwarze Balken auf DIN A1 zu schmieren und vor versammelter Mannschaft den emotional geblähten Luftballon platzen zu lassen, nur um dann ein schlappes, halb geflüstertes »Ja, das tut weh, Frau Abendroth« von ihr einzufahren … Also, nee … Gleich in der ersten Stunde hätte ich meinem Impuls nachgeben und ihr meinen Pinsel zum Auswaschen in den Rachen schieben sollen. Da hatte es Carmen Sawatzki erwischt, die so unvorsichtig gewesen war, über die mit ihrem Bauunternehmer verschwendete Lebenszeit zu weinen.
Nur noch ein paar Tage, Maggie, dann bist du wieder in Bochum, redete ich mir gut zu. Dann kümmerst du dich um dein Apartment und hilfst Kajo, das Haus zu verkaufen. Und du suchst dir einen neuen Job. Diesmal etwas harmloses, vielleicht Burger braten bei MacDonalds oder telefonieren im Call Center. Hauptsache, keine Leichen mehr.
Ich schaute auf die Uhr über der Kuchentheke. Noch eine halbe Stunde Freizeit, bevor ich mich wieder ins hessische Guantanamo Bay zurückbegeben musste. Ich bestellte noch einen Espresso und sah, wie ein paar schlecht gekleidete Musiker mit ihren Instrumenten am Café vorbei in Richtung Kurpark zogen. Bad Camberg hatte doch tatsächlich eine kleine, muschelförmige Bühne. Ts! Und ich hatte gedacht, das gibt es nur im Film.
Winnie, warte nur, bis ich nach Hause komme. Von wegen
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