Abgeschaltet
Englands anzusehen, scheitert. Immer werde ich vom Betreiber vertröstet, man lässt Journalisten nicht gerne zu nahe heran. Aber genau das will ich: Nah ran, mit aufs Wartungsboot, einen persönlichen Eindruck gewinnen. Sally Shenton, die Betriebsleiterin des Windparks »Robin Rigg«, auf einer Sandbank zwischen der englischen und der schottischen Küste gelegen, hat mit der Nähe kein Problem. Allerdings könne sie keine Ausfahrt garantieren, das hinge vom Wetter ab, schreibt sie noch in der Woche zuvor per E-Mail.
Als ich morgens in Workington aufwache, strahlt die Sonne. Kein Grund zu befürchten, dass wir wegen schlechten Wetters im Hafen festsitzen. Als Sally mich mit ihrem Golf vom Hotel abholt und Scherze über das ungemütliche Wetter macht, lache ich – ebenso, als sie mir etwas später in ihrem Büro ein Armband überreicht, das gegen Seekrankheit helfen soll.
In der Nacht ist eine der 60 Turbinen abgeschaltet worden, wir sollen vor Ort feststellen, ob man trotz des starken Seegangs eine Crew für die notwendige Reparatur entsenden kann. Wir betreten ein Schiff, das der Betreiber E.ON eigens für Bau und Betrieb des Windparks hat bauen lassen: einen rund 15 Meter langen Katamaran, der stabiler im Wasser liegt als ein Einrumpfboot. Der Bug ist gerade wie bei einer Fähre. Gewaltige Gummiflächen am Bug ermöglichen es, das Schiff direkt an den Türmen der Windkraftanlagen anlanden zu lassen. Der übrige Aufbau ähnelt einem Seenot-Rettungskreuzer. Der Skipper, der sich von mir aus nicht ganz verständlichen Gründen nicht Kapitän nennen lassen will, sitzt auf einer deutlich erhöhten Brücke.
Wir verlassen den Hafen von Workington und nehmen Kurs auf den elf Kilometer entfernten Windpark. Der Katamaran springt über die rund einen Meter hohen Wellen und ich verstehe, warum der Skipper sich angeschnallt hat. Ich hüpfe ungewollt auf und ab und überlege, ob ich das Anti-Übelkeitsband nicht doch hätte anlegen sollen.
Nach einer knappen halben Stunde sind wir vor Ort. In sechs Reihen stehen hier 60 weiße Türme, jeder 80 Meter hoch. Am östlichen Rand ist ein kleines Umspannwerk auf Stelzen errichtet worden. Sonst nichts. Trotz des gewaltigen Windes drehen sich die dreiblättrigen Rotoren, jeder mit einem Durchmesser von mehr als 40 Metern, scheinbar alle mit gleicher Geschwindigkeit. Scheinbar, denn am Kontrollmonitor an Land sehe ich später, dass die Windgeschwindigkeit erheblich variiert. Vor allem die innen stehenden Windkraftanlagen produzieren etwas weniger, vermutlich weil die Anströmung von ihren Nachbarn gestört wird.
Wir fahren F2 an, das ist die Anlage, die wegen drohender Überhitzung der Elektrik abgestellt wurde. Der Skipper versucht ein Anlegemanöver, ein Wagnis bei dem Wellengang, da er auf wenige Zentimeter genau manövrieren muss. Beim zweiten Versuch klappt es, doch das Boot schaukelt so stark auf und ab, dass ich mir nicht zutraue, auf die am Fundament angebrachte Leiter umzusteigen. Sally entscheidet, es sei heute zu gefährlich, die Anlage zu betreten. Die meisten ihrer Ingenieure und Techniker sind Gefahren gewohnt.Sie haben zuvor für Ölunternehmen oder die Marine gearbeitet, einer hat sogar in der Antarktis Forschungsstationen gebaut. Sally aber achtet strikt auf Sicherheit und ist stolz darauf, dass es noch keinen Unfall mit ernsthaften Folgen gegeben hat.
Dass die Kräfte der Natur nicht berechenbar sind, hat Sally beim Bau des Windparks ständig zu spüren bekommen. Robin Rigg wurde im September 2010, etwa ein Jahr später als geplant, fertig. »Auf jeden Tag, den wir gearbeitet haben, kam einer, an dem wir pausieren mussten«, erläutert Sally. Wobei das der statistische Schnitt ist, teilweise musste die Mannschaft wochenlang an Land ausharren und auf besseres Wetter warten.
Seit der Einweihung läuft der Windpark anstandslos. Für 2011 lautet das Produktionsziel 573 Gigawattstunden Strom. Da jede der Turbinen eine Maximalleistung von 3 Megawatt hat, könnten bei Optimalwind 1577 Gigawattstunden produziert werden. 36 Prozent Auslastung, das klingt nicht viel. Verglichen mit landgestützten Anlagen ist es das aber, denn die bringen maximal 25 Prozent. Nicht weil der Wind an Land unbedingt schwächer weht, sondern weil die Anströmung der Turbinen durch Gebäude, Hügel oder Bäume gestört wird. Sally kümmern Auslastungszahlen wenig. »Das ist die Natur. Den Schalter, mit dem wir den Wind an- und abschalten können, haben wir noch nicht erfunden. Viel wichtiger
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