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Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Titel: Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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erhob sich und befahl, den Mann zu ihm bringen. Der Gefangene wurde in sein Zelt gestoßen.
    Der kleine Graf fragte ihn nach seinem Namen und erhielt keine Antwort. Auch über sein Alter wollte – oder konnte er vielleicht – keine Auskunft geben. Erst als ihm die Männer, die ihn gebracht hatten und am Zelteingang lauerten, Schläge und Folter androhten, wenn er nicht antwortete, besann sich der Gefangene und tat den Mund auf. Vor Kälte zitternd, stammelte er, dass er zur Burgbesatzung gehöre, Gefolgsmann des Burgherrn sei und Bertulf heiße.
    Kurzbold warf ihm ein Tuch zu, damit er sich abtrocknete und darin einhüllte.
    Die weitere Befragung ergab, dass sich der junge Mann in der Nacht aus der Burg geschlichen hatte und eine Viertelmeile rheinabwärts geschwommen war, um dort ein Mädchen zu besuchen. Das hatte er trotz der Belagerung schon zweimal geschafft, ohne von den Belagerern und den eigenen Leuten entdeckt worden zu sein. Diesmal hatte er die Dunkelheit nicht mehr nutzen können, weil er zu spät aufgebrochen war.
    „Dummkopf!“, knurrte Kurzbold. „Bringt sich wegen eines Weibes in Schwierigkeiten! Ist sie das wert? So ein Prachtkerl …“ Er betrachtete den hübschen Burschen mit Wohlgefallen, befühlte die Muskeln seiner Arme und untersuchte seine Schulterwunde. „Das wird schnell heilen. Eine weise Frau hat mir eine Salbe gebraut, ich werde sie dir selbst auftragen. Hab keine Angst, bei mir bist du sicher. Ausliefern werde ich dich nicht. Auch wenn Herzog Eberhard einen Ausfall machen sollte, um dich zurückzuholen.“
    „Davor muss ich mich nicht fürchten“, sagte der junge Bertulf, schüchtern auflachend. „Herzog Eberhard ist ja weit weg.“
    „Ist weit weg?“, fragte Kurzbold überrascht. „Was heißt das? Wo ist er denn?“
    Bertulf machte ein erschrockenes Gesicht und legte rasch eine Hand auf die Lippen, als wollte er sie verschließen. Er schielte zum Zelteingang, wo noch immer die Neugierigen standen.
    |279| „Verschwindet! Fort mit euch!“, rief der Graf und trat vor das Zelt, um sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich fortgingen.
    „Junge“, sagte er sanft, als er wieder eingetreten war, „du gefällst mir und ich versichere dir noch einmal: Hier geschieht dir nichts, du kannst zu mir Vertrauen haben.“ Plötzlich aber fuhr er in scharfem Ton fort: „Und nun heraus mit der Sprache, ehe ich zornig werde. Was hast du da eben gesagt? Herzog Eberhard ist nicht hier? Ist nicht in der Festung?“
    Der junge Mann zögerte mit der Antwort, bewegte nur tonlos die Lippen.
    „Sag es mir!“, schrie der kleine Graf. „Sonst hole ich die Männer zurück und lasse dich foltern. In Teufels Namen! Wo ist der Herzog?“
    „Er ist fort“, erwiderte Bertulf mit ersterbender Stimme.
    „Seit wann?“
    „Seit … seit zehn Tagen vielleicht.“
    „Wie? Schon seit zehn Tagen?“
    „Zwei Tage, bevor ihr kamt, zog er ab … gleich nach dem König.“
    „Nach König Ludwig?“
    „Ja.“
    „Und die anderen? Herzog Giselbert? Prinz Heinrich?“
    „Auch die … sie sind …“
    „Sind mit dem König …?“
    „Nein …“
    „Also mit ihm! Mit Eberhard!“
    „Ja.“
    „Und das Heer? Sein Heer?“
    „Ist auch abgezogen … nach den Westfranken.“
    „Aber wer hält denn die Festung?“
    „Das … das tun wir … die Besatzung, der Burgherr. Alles wie immer.“
    „Und wie viele seid ihr?“
    „Dreißig … mit Knechten achtzig …“
    Ein paar Atemzüge lang starrte der kleine Graf dem jungen Mann fassungslos ins Gesicht.
    „Ich bitte Euch, Herr … verratet mich nicht … es soll ein Geheimnis bleiben …“
    „Ein Geheimnis?“
    „Dass sie alle fort sind. Ihr sollt es nicht wissen. Sollt denken, dass sie sich noch in der Festung befinden.“
    |280| „Aber wo sind sie? Was haben sie vor?“
    „Rache.“
    „Wie?“
    „Herzog Giselbert sagte …“
    „Was sagte er?“
    „Er wird es dem König und den Sachsen heimzahlen …“
    „Heimzahlen?“
    „Was sie getan haben, in seinem Land. Und Herzog Eberhard …“
    „Will der sich auch rächen?“
    „Ja.“
    „An wem? König Otto?“
    „Seinen Verwandten, die ihn verraten haben.“
    „Seinen Verwandten?“
    „Den beiden Grafen. In der Wetterau. An der Lahn.“
    „Ha!“
    Kurzbold griff sich an den Hals, als bliebe ihm die Atemluft weg.
    „Sofort zum König!“, rief er, seinen Wehrgurt umschnallend. „Du kommst mit mir! Da ist ein Hemd, zieh es an, auch eine Hose. Und hilf mir in die Stiefel

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