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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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wie Johannes den Täufer.«
    Ein merkwürdiger Vergleich, besonders aus Lubins Mund. Scanlon erwidert nichts.
    »Haben Sie … haben die denn nicht gewusst, dass wir nicht würden zurückkommen wollen? Haben sie nicht damit gerechnet?«
    »So war das nicht.« Doch mehr noch als sonst fragt er sich, wie viel die Netzbehörde tatsächlich weiß.
    Lubin räuspert sich. Er scheint noch etwas sagen zu wollen, doch er tut es nicht.
    »Ich habe die Windharfe gefunden«, sagt Scanlon schließlich.
    »Ja.«
    »Sie hat mir furchtbare Angst gemacht.«
    Lubin schüttelt den Kopf. »Dafür war sie eigentlich nicht gedacht.«
    »Wofür dann?«
    »Ach, es ist nur … ein Hobby. Wir haben hier alle unsere Hobbys. Lenie bastelt an ihrem Seestern herum. Alice … träumt. An diesem Ort erscheinen einem viele hässliche Dinge in einem anderen Licht, so dass sie beinahe schön wirken.« Er zuckt die Achseln. »Ich errichte Mahnmale.«
    »Mahnmale.«
    Lubin nickt. »Die Windharfe war für Acton.«
    »Verstehe.«
    Etwas landet mit einem Klirren auf der Station. Scanlon zuckt zusammen.
    Lubin zeigt keinerlei Reaktion. »Ich denke darüber nach, noch eine zu bauen«, sagt er. »Für Fischer vielleicht.«
    »Mahnmale sind für Tote. Fischer ist noch am Leben.«
    Jedenfalls theoretisch.
    »Also gut. Dann baue ich eben eines für Sie.«
    Die Luke in der Decke öffnet sich. Scanlon nimmt seinen Koffer und beginnt hinaufzusteigen.
    »Sir …«
    Überrascht blickt Scanlon nach unten.
    »Ich …« Lubin hält inne. »Wir hätten Sie besser behandeln können«, sagt er schließlich.
    Irgendwie weiß Scanlon, dass das nicht das ist, was Lubin ursprünglich sagen wollte. Er wartet. Aber Lubin spricht nicht weiter.
    »Danke«, sagt Scanlon und lässt Beebe für immer hinter sich.
    Mit der Kammer, in die er hineinklettert, stimmt etwas nicht. Verwirrt blickt er sich um; das ist nicht das übliche Shuttle. Die Passagierkabine ist zu klein, die Wände sind mit einer Reihe von Düsen gespickt. Die Luke zum Cockpit vorn ist verschlossen. Ein fremdes Gesicht blickt durch das Bullauge nach hinten, als die Luke am Bauch des Gefährts zuklappt.
    »Hee …«
    Das Gesicht verschwindet. Die Kabine hallt von dem Geräusch metallener Münder wider, die sich voneinander lösen. Ein leichter Ruck, und das Tauchboot steigt in die Höhe.
    Ein feiner Sprühnebel dringt zischend aus den Düsen. Er brennt Scanlon in den Augen. Eine unbekannte Stimme beruhigt ihn über den Kabinenlautsprecher. Es gibt keinen Grund zur Sorge, sagt sie. Nur eine routinemäßige Vorsichtsmaßnahme.
    Alles ist völlig in Ordnung.

Seine

Entropie
    M öglicherweise gerät die Situation langsam etwas außer Kontrolle, fragt sich Lenie Clarke.
    Die anderen scheint das nicht weiter zu kümmern. Sie hört Lubin und Caraco, die sich oben im Aufenthaltsraum unterhalten, und Brander, der versucht, unter der Dusche zu singen – als wären wir nicht alle in unserer Kindheit missbraucht worden –, und bewundert die anderen für ihre Sorglosigkeit. Sie haben Scanlon alle gehasst – nun, vielleicht nicht gehasst, das ist ein wenig übertrieben, aber da war zumindest so etwas wie …
    Verachtung …
    Das ist das richtige Wort. Verachtung. Damals an der Oberfläche ist Scanlon ihnen allen auf die Nerven gegangen. Ganz gleich, was man zu ihm sagte, er hat stets genickt, kleine ermutigende Laute von sich gegeben und alles getan, um einen davon zu überzeugen, dass er einen versteht. Außer natürlich einem zuzustimmen. Man brauchte keine hellseherischen Fähigkeiten, um den ganzen Mist zu durchschauen. Jeder von ihnen hier unten war in seiner Vergangenheit schon zu vielen Scanlons begegnet, dem Mitfühlenden vom Dienst, der sofort dein Freund ist und dich sanft auffordert, nach Hause zurückzukehren und die Anklage fallen zu lassen, der stets so tut, als ob er nur dein Bestes will. Damals war Scanlon nur ein herablassender Scheißkerl mit rasierter Platte von vielen, und wenn ihn das Schicksal eine Zeitlang in Riftergebiet versetzt hat, wer kann es ihnen verdenken, dass sie sich einen kleinen Scherz mit ihm erlaubt haben?
    Aber wir hätten ihn töten können.
    Er hat angefangen. Er hat Gerry angegriffen. Er hat ihn als Geisel genommen.
    Als ob die Netzbehörde das interessieren würde …
    Bislang hat Clarke ihre Zweifel für sich behalten. Nicht etwa weil sie befürchtet, dass ihr niemand zuhören würde. Eigentlich fürchtet sie das genaue Gegenteil. Sie will nicht, dass irgendjemand wegen ihr seine

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