Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
voll und ganz ihrer Aufgabe, die Interessen und Rechte der Arbeitnehmer zu stärken.«
»Hatte er kein bestimmtes Aufgabengebiet?«
»Fangen wir bei seinen Arbeitszeiten an: Wenn er morgens kam, klapperte er entweder die Büros ab und plauderte mit den Kollegen, bis er beim Abteilungsleiter landete, der sein Parteifreund war – oft ging es um Personen, deren Einstellung er bei der Schulbaubehörde durchsetzen wollte, oder um Leute, die er auf dem Kieker hatte. Oder er ging nach einer Stunde unter dem Vorwand wieder, dass er beim Kreis- oder beim Dachverband Termine hätte. Dagegen kann man nicht viel einwenden, die meisten Gewerkschafter tun das. Doch Dimos ist noch einen Schritt weitergegangen.«
»Ja, und wie?«
»Wenn er morgens kam, hat er eingestempelt und ist dann gegen neun Uhr abends zurückgekommen, um auszustempeln. Die Zeit zwischen dem Ende seiner regulären Arbeitszeit und dem Ausstempeln hat er als Überstunden verrechnet.«
»Wer wusste alles davon?«
»Alle, vom kleinsten Angestellten bis zum obersten Chef. Aber keiner hat den Mund aufgemacht, weil niemand sich mit Dimos anlegen wollte. Der konnte einem nämlich richtig schaden. Zum Beispiel hätte er einen in eine andere Abteilung versetzen oder ihm die Überstunden streichen lassen können, ja selbst vor Kündigungen hätte er nicht zurückgeschreckt. Also haben alle stillgehalten und sich um ihre eigenen Angelegenheiten gekümmert.«
Eigentlich ist die von der Petrojanni geschilderte Situation für das Personal der Schulbaubehörde so unerträglich, dass man sich gut vorstellen kann, dass jemand mit Lepeniotis aneinandergeraten war und ihn daraufhin getötet hat. Doch aufgrund der bisherigen Ermittlungen müssen wir davon ausgehen, dass Lepeniotis seinen Mörder vorher vermutlich nicht gekannt hat.
»Wie wir gehört haben, war Lepeniotis geschieden.«
Sie schüttelt bedauernd den Kopf. »Anna und der kleine Lefteris hatten es nicht leicht. Um den Jungen kümmerte sich ausschließlich die Mutter. Dimos hatte weder Zeit für seine Frau noch für seinen Sohn. Parteiarbeit und Gewerkschaftspolitik waren sein Leben. Da blieb ihm keine freie Minute für die Familie. Irgendwann hatte Anna die Nase voll und ist mit Lefteris zu ihren Eltern nach Chalkida gezogen.« Sie hält kurz inne, redet dann aber weiter. »Es ist besser, Sie erfahren es von mir. Anna und ich waren befreundet, Herr Kommissar. Wir haben zusammen Jura studiert. Ihr habe ich es zu verdanken, dass Dimos mir die Stelle im öffentlichen Dienst verschafft hat. Als sie sich trennten, war Dimos sauer auf mich. Er glaubte, ich hätte Anna zur Trennung überredet, aber das stimmte nicht. Sie hat es einfach nicht mehr länger mit ihm ausgehalten und ihre alte Stelle in der Kanzlei aufgegeben, um mit Lefteris nach Chalkida zu ziehen.«
»Wissen Sie vielleicht, wie wir mit ihr Kontakt aufnehmen können? Es ist eine reine Formsache, aber wir müssen ihr ein paar Fragen stellen.«
»Ich kann Ihnen die Handynummer geben. Sie können ohne Weiteres erwähnen, dass Sie sie von mir haben. Ihr Nachname lautet Dermiri.«
Ich notiere mir die Nummer. Mir ist klar, dass die Petrojanni mich nicht zu dem dreifachen Mörder führen wird, doch die Auskünfte, die sie mir gegeben hat, vervollständigen das Gesamtbild: Der Täter wählt seine Opfer nicht zufällig aus – das steht fest. Er greift Personen heraus, die sich gegen die Junta eingesetzt haben und aus diesem politischen Engagement später Vorteile gezogen haben. Kyriakos Demertsis würde es so formulieren: Sie haben aus ihrer antidiktatorischen Haltung Kapital geschlagen.
Gleich nachdem die Petrojanni gegangen ist, rufe ich die Dermiri an und erkläre ihr, wer ich bin.
»Sie wissen bestimmt schon, dass Ihr geschiedener Mann ermordet wurde«, sage ich zu ihr.
»Ja, Herr Kommissar.«
»Es ist nur eine Formsache, aber wir müssen Ihnen trotzdem ein paar Fragen stellen.«
»Vasso wird Ihnen gesagt haben, dass ich etwas außerhalb von Chalkida, am Rand von Nea Lampsakos wohne. Wollen Sie lieber hierherkommen, oder soll ich in der Polizeiwache von Chalkida aussagen?«
»Besser, ich komme zu Ihnen raus.«
»Dann fragen Sie, sobald Sie in Nea Lampsakos sind, nach dem Haus von Dermiris. Das kennen alle, und man wird Sie herlotsen.«
Ohne meine Antwort abzuwarten, legt sie auf. Das ist mir nur recht, auch ich wollte das Gespräch kurz halten, da ich es eilig habe, mit Demertsis’ Witwe zu sprechen.
Erneut sitze ich im Streifenwagen, nur
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