Abschaffel
Beispiel mechanische Rechner, diesen Krempel kauft und verkauft heute kein Schwanz mehr, die wollen alle elektronische Rechner, ist ja klar, das kriegen sie ja auch dauernd vorgesagt. Meine Firma hat aber noch ein paar Eisenbahnzüge voll mit mechanischen Rechnern daliegen, und die können sie nicht einfach auf den Schuttplatz schmeißen, versteh ich, ist klar, versteht jeder. Also müssen wir sie verkaufen. Jetzt passen Sie einmal auf. Auf meinem Gebiet, also von Mosbach bis Saarbrücken, habe ich ungefähr hundertunddreißig Kunden, die ich jeden Monat anfahren soll. Von diesen hundertunddreißig machen aber nur dreißig den wirklich dicken Umsatz, auf den es ankommt. Die anderen hundert sind kleine Läden, die halt auch da sind, nicht wahr. Was soll ich jetzt machen? Wenn ich die marktschwachen Produkte verkaufen will, muß ich tatsächlich nach St. Wendel und Dudenhofen und Roxheim und sonstwohin fahren zu den maulfaulen Mostbauern und eine geschlagene Stunde lang quatschen, bis die mal eine gewöhnliche Schreibmaschine für vierhundert Mäuse kaufen. Wenn ich aber nur über die Kaffs fahre, komme ich niemals auf achtzigtausend, verstehen Sie das. Der Gebietsleiter Süddeutschland ist mit mir ja zufrieden, weil der guckt nur danach, was monatlich unterm Strich steht, und wenn das stimmt, hält er seinen Mund. Aber es gibt auch noch den Verkaufsleiter Deutschland, und der steckt mir jeden Monat einmal den Strumpf in den Mund. Der fährt extra mit dem BMW aus Frankfurt an, um es mir zu geben. Dann hat er meine Monatsabrechnung in der Hand und stellt wieder mal fest, daß ich meinen Umsatz nur mit den gutgehenden Produkten gemacht habe. Kunststück, nicht. Um die anderen Sachen, besonders um die alten mechanischen Rechner, malt er mit dem Filzstift kleine rote Kreise und sieht mich an. Dann geht’s los. Ich sag nichts, und er sagt alles, ein schlimmer Beißer ist das. Na ja, er ist auch fünfzehn Jahre jünger als ich, und wenn er so weitermacht, guckt er hier bald auch in den Schnee. Und er kommt nur, um mir das Leben zu versauen. Am besten wäre, ich würde kündigen, aber das geht nicht. Soll ich Ihnen mal was sagen? Ich bin zweiundvierzig, ich kann nicht mehr wechseln. Alles wird einfach so weitergehen. Deswegen habe ich vorhin gesagt: Ich wollt, mich täten sie auch abholen, aber ich bin ja nicht abgedreht, das bin ich noch nicht, abgenippelt, nicht, ich bin bloß ein bißchen krank, Asthma hab ich, ich sitz abends eine halbe Stunde mit der Spraydose vor meinem Mund und mach, daß ich wieder Luft kriege, mein Therapeut nennt das einen organdestruktiven Prozeß, na ja, und redet mit mir. Vor fünfzehn Jahren habe ich einen fürchterlichen Fehler gemacht, und darüber rede ich heute am meisten. Damals ist eine Tante von mir gestorben, die hatte ein Schreibwarengeschäft, nicht groß, nicht klein, sondern einfach, gut und sauber, in Münster im Westfälischen. Die Tante war nicht verheiratet und hatte kein Kind und kein Rind, und sie hat meine Mutter gefragt, ob ich nicht Interesse hätte an dem Laden, ich könnte ihn haben. Ha! Aber ich war damals jung und blöd, und ich habe nur lachen können: ich als Radiergummihändler hinter der Glastheke! Heut könnt ich fast heulen, daß ich es nicht gemacht habe. Was hätt ich für ein schönes Leben. Nichts war’s, nichts war’s. Jetzt kommen Sie.
Abschaffel schwieg. Warum sagen Sie nichts? fragte der Gebietsreisende. Was soll ich schon dazu sagen? fragte Abschaffel zurück; ich kann an Ihrer Lage nichts ändern, und was soll ich dann viel sagen? Das stimmt auch wieder, sagte der Gebietsreisende. Sie schwiegen eine Weile, dann entfernte sich der Gebietsreisende von Abschaffels Tisch. Seine Zeitung hatte er liegenlassen, und aus Mitleid und Trauer mit dem Leben des Gebietsreisenden las Abschaffel ein wenig in seiner Zeitung. Es war das kleinformatige, dünne Blatt für den Landkreis Sattlach, schlecht und fettig gedruckt. Er fand fast ausschließlich kurze Berichte über das Vereinsleben und kirchliche Veranstaltungen in Sattlach und Umgebung. Abschaffel las einen Bericht über eine Kleintierzuchtausstellung, die zur Zeit im Keller der alten Volksschule von Sattlach zu sehen war. Sollte er den Gebietsreisenden fragen, ob sie zusammen die Ausstellung besuchen sollten? Wie kindisch und lächerlich! Die Sattlacher Kleintierzüchter seien mit dieser Ausstellung einen wichtigen Schritt vorwärtsgekommen, hieß es in dem Bericht. O Gott. Sogar eine kleine Tombola hatten die
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