Abschied aus deinem Schatten
kalte Wasser, betupfte auch Hals und Nacken und versuchte, innerlich zur Ruhe zu kommen. Schließlich warf sie einen prüfenden Blick in den Spiegel. Fast hätte sie die Frau mit der Kurzhaarfrisur und den dezent geschminkten Augen, die ihr entgegenstarrte, nicht erkannt. Sie bewunderte das Spiegelbild sogar einige Sekunden, bis sie allmählich begriff, dass es ja das Gesicht war, das sie auch sonst immer sah.
Sie hätte zu gern gewusst, weswegen Reid gekommen war und wonach er suchte. Mach nicht so ein Theater! befahl sie sich. Du hast doch nichts zu befürchten! Ihrer Ansicht nach gab es bei ihr nichts zu holen, was für Reid von Interesse sein konnte. Wahrscheinlich wollte er nur essen und würde dann wieder gehen, und damit hätte es sich.
Als sie wieder oben im Lokal angelangt war, blieb sie kurz neben Mark stehen und unterrichtete ihn verstohlen über Reids unerwartetes Erscheinen.
„Ach,
das
ist ja ein Ding!” sagte er augenzwinkernd. „Das muss ich mir unbedingt anschauen! Welcher von den beiden ist es denn?”
„Der Große mit den dunklen Haaren. Drüben an der Bar.”
Mark beugte sich leicht vor, warf einen raschen Blick in die angezeigte Richtung und lehnte sich, die Augenbrauen bedeutungsvoll emporgezogen, wieder zurück. „Na, jetzt verstehe ich vollkommen, warum die Fantasie mit Claudia durchging. Ein wahrer Adonis! Und schau dich mal an, mein Sahnestückchen”, flüsterte er neckend. „Du bist ja ganz hin und weg! Morgen erwarte ich einen ausführlichen Bericht!”
„Unmöglich bist du! Und du verwechselst Panik mit Interesse.”
„Was du nicht sagst!”
„Nun mach aber einen Punkt!” Ihr Gesicht glühte, und der Druck in der Magengegend verstärkte sich.
„Lassen Sie sich nicht von Mark auf den Arm nehmen”, mischte sich Richard ein. „Aber ein gut aussehender Mann ist das allemal, Rowena.”
„Wartet nur, ihr zwei, bis ich hier fertig bin! Euch werde ich helfen! Zum Nachtisch gibt’s Saures, verlasst euch drauf!”
„Ach, ich hab solche Angst, Richard”, murmelte Mark halblaut, wobei ihm der Schalk aus den Augen blitzte. „Der kleine Däumling will uns ans Leder! Zu Hilfe!”
Rowena lachte nervös und wandte sich ab.
Reid hätte nicht charmanter sein können. Als Rowena kam, um die Bestellung entgegenzunehmen, unterbrach er die Unterhaltung mit seinem Begleiter, sah sie lächelnd an und ließ sich aufmerksam die Spezialitäten des Abends erklären.
„Das hört sich alles köstlich an”, bemerkte er. „Was würden Sie denn empfehlen?”
Rowena fühlte sich von seinem Blick geradezu durchbohrt und erwiderte: „Der Red Snapper ist sehr gut. Mir persönlich schmeckt auch die Engelhaar-Pasta mit geräuchertem Hühnchen, sonnengetrockneten Tomaten, schwarzen Oliven und Artischockenherzen in Weißweinsauce.”
Mit einer Spur Anzüglichkeit in der tiefen Stimme sagte er: „Dann folge ich Ihrem persönlichen Geschmack.” Rowena merkte, wie ihr die Wangen glühend heiß wurden, notierte aber mit fest auf den Schreibblock gerichtetem Blick die Bestellung.
„Da Ihre persönliche Empfehlung damit bereits vergeben ist”, meinte Innes, „nehme ich den Red Snapper.”
„Sie werden nicht enttäuscht sein”, gab sie zurück. Auf dem Weg zur Küche bat sie Ian, den beiden ein Glas Wein als Begrüßungstrunk des Hauses zu bringen.
Als sie kurz darauf die üblichen Runden von Tisch zu Tisch machte, war sie sich Reids Gegenwart nur allzu bewusst. Bei seiner Körpergröße war er nicht zu übersehen, und sie spürte, wenn sie an einem Tisch anhielt, um ein paar Worte mit den Gästen zu wechseln, dass ihr trotz der Klimaanlage merklich warm geworden war. Claudia hätte die Situation sicherlich mit links gemeistert. Rowena hingegen hatte noch nie erlebt, dass ihr jemand den Hof machte – falls das wirklich der Fall war. Sollte es tatsächlich so sein, war sie allerdings nicht allzu erpicht darauf. Es ging ihr zu sehr an die Nerven. Am liebsten hätte sie sich in eine Ecke verkrochen und geweint.
Als es auf zehn Uhr zuging, saßen die verbliebenen Gäste – drei Tische draußen und vier drinnen – nur noch bei Kaffee und Likör. Rowena hatte endlich Zeit, sich nochmals zu Mark und Richard zu setzen. „Und?” fragte sie. „Hat es geschmeckt?”
„Alles war vorzüglich”, lobte Richard. „Eins wollte ich Sie noch fragen. Ist er wirklich Psychiater? Er sieht beim besten Willen nicht wie einer aus.”
„Doch, ist er”, versicherte sie. „Ich war schon mal in seiner
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