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Abschied in Dunkelblau

Abschied in Dunkelblau

Titel: Abschied in Dunkelblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John D. MacDonald
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an, und das Selbstwertgefühl, das jede Frau braucht, war dahin. Sie hatte das Präsent mit größter Sorgfalt verpackt und in Geschenkpapier gewickelt und liebevoll beschriftet, aber plötzlich war daraus ein hübsch verpackter Krug voller Schmutz geworden. Sie hatte es zu früh probiert, aber wenn ich sie bei der ersten Berührung abgewiesen hätte, wäre das möglicherweise zu einem größeren Trauma geworden als das, was geschehen war. Ich überlegte, ob ein Schock nicht heilsamer wäre als reine Besänftigung.
    »Schrecklich, schrecklich dramatisch, liebe Lois.«
    »Häh?«
    »So traurig. Auf immer und ewig beschmutzt, befleckt, verloren, hoffnungslos. Die verderbte Schlampe von Candle Key. Igitt, was für ein Theater!«
    Sie löste sich langsam und vorsichtig aus ihrer zusammengerollten Haltung, bewahrte aber Abstand und zog sich verstohlen die Bettdecke unters Kinn. »Sei nicht so ein grausamer, ekelhafter Bastard«, sagte sie ohne Betonung. »Versuche wenigstens, etwas Mitgefühl aufzubringen.«
    »Für wen? Eine eindunddreißigjährige Heranwachsende, um Himmels willen? Glaubst du etwa, ich bin so ausgehungert, daß ich nach jeder Frau greife, die ich kriegen kann? Manchmal bin ich ein bißchen blöde oder niedergeschlagen, dann tue ich genau das, aber es hinterläßt immer einen schlechten Geschmack. Der schlechte Geschmack kommt daher, weil ich ein unverbesserlicher Romantiker bin, der glaubt, daß die Mann-Frau-Geschichte nicht zu einem Wettkampf auf dem Niveau von Kaninchen werden sollte. Da sind uns die Kaninchen sowieso überlegen. Meine Liebe, wenn ich geglaubt haben sollte, du wärest ein Ausbund der Verderbtheit, wo bliebe denn das Festmahl für den Romantiker? Nein, liebe Lois, du bist süß und sauber von Kopf bis Fuß, in allen Teilen frisch und bekömmlich, und außerdem angenehm doof.«
    »Verfluchter Kerl!«
    »Eine Kleinigkeit habe ich dir noch gar nicht erzählt, Liebes. Es ist Junior Allen gewesen, der Cathy verprügelt hat. In ihren Worten, er hat mit der einen Hand ihren Hals gepackt und ihr mit der anderen ins Gesicht gedroschen. So lange, bis sie jetzt kaum noch ein Gesicht zu haben scheint. Und sie hat ihn nicht angezeigt, nicht, weil sie Angst gehabt hat, sondern weil sie gedacht hat, ich könnte da irgendwie hineingezogen werden, weil ich versuche, ihr zu helfen, und weil die Polizei mir die Sache vermasseln könnte. Wenn ich das gegen deine dramatische Vorstellung aufwiege, kommst du irgendwie nicht so gut dabei weg. Mach das auch mal, dann wirst du ja sehen.«
    Sie blieb lange Zeit still. Ich konnte nicht abschätzen, wie sie reagieren würde, aber ich wußte, dies war ein kritischer Augenblick, vielleicht der Augenblick, von dem ihre ganze Zukunft abhing. Und ich verachtete mich und all die anderen Amateurpsychiater, Neunmalklugen und Wirtshausphilosophen.
    »Aber ich bin doch krank gewesen!« sagte sie mit piepsiger, alberner Kinderstimme, und nach dem ersten Schock erkannte ich die Pointe dieses alten Witzes von der Maus und wußte, diesem Mädchen würde es bald wieder gut gehen. Ich brach in Gelächter aus, und einen Augenblick später lachte sie mit. Wir lachten wie die Kinder, bis uns die Tränen herunterliefen. Mein Lachen erstarb, aber ich mußte immer wieder anfangen zu lachen. Und ich war froh, daß sie die Sache nicht dadurch verdarb, die Pointe zu wiederholen.
    Sie zögerte oft, aber ich holte sie zurück. Mit jeder Menge Sanftmut und Geduld. Und indem ich lieb zu ihr war, ihr sagte, wie süß sie war. Endlich kam die Belohnung für die Geduld, sie atmete ganz tief ein, in sechs Etappen, ihr ganzer Körper schien in sich selbst hineinzuhorchen, sich zu finden, sich seiner sicher zu werden und sich dann mit Heißhunger zu bedienen.
    Später lag sie zufrieden an meinen Brustkorb geschmiegt, ihr Puls und ihre Atmung gingen langsam. »War nicht zu früh«, brummte sie undeutlich.
    »Nein, war’s nicht.«
    »Schön«, sagte sie. »Sehr schön.« Dann kuschelte sie sich zurecht und sank in den Schlaf völliger Erschöpfung.
    Ich wäre ihr gerne in Morpheus Arme gefolgt, wenn ich überzeugt gewesen wäre, daß alles in Butter war. Aber ich hatte das Gefühl, mich selbst in eine hübsch häßliche Ecke manövriert zu haben. Wo hört Verantwortung auf? Kauft man dem Krüppel einfach eine Schuhputzkiste und schickt ihn damit auf die Straße? Ich wurde das Gefühl nicht los, daß dieses schlafende Ding nun mir gehörte. Stimmt, es war ein großartiges Exemplar, mit guten

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