Abschied von Eden
gesagt, aber ich werd’s noch mal sagen. Is nich das erste Mal, daß ich geschlitzt wurd’ – das schlimmste Mal, aber nich das erste. Wenn ich aussag’, kommt meine ganze Vergangenheit raus, trotz all eurem Geseire, daß es nich rauskommt.«
Decker mußte improvisieren. »Man wird die Geschworenen anweisen, Ihre sexuelle Vergangenheit auszuklammern.«
»Scheiße, Scheiße, Scheiße!« Myra nahm eine Papiernagelfeile aus ihrer Nachttischschublade. Dabei fiel ihr Blick auf die Uhr. »Was fällt Ihnen überhaupt ein, mich morgens um halb sieben mit so’m Scheiß zu belabern? Ich hab’ mir noch nich mal die Zähne geputzt.«
»Das tut mir leid.«
»Kann ich mir vorstell’n«, sagte Myra und begann wütend an ihren Nägeln herumzufeilen. »Verschwinden Sie.«
»Ich möchte doch nur …«
»Sie woll’n nur ’nen fetten goldnen Stern in Ihrer Akte, und Ihnen is scheißegal, was mit mir passiert. Jetzt hör’n S’ mal gut zu, Mister Po-liceman. Mein Typ und mein Anwalt regeln das. Bleiben S’ mir von der Pelle, und vielleicht kriegen Sie und Ihre Kumpels ja ’nen winzigen goldenen Stern dafür, daß Sie das Arschloch ’n paar Monate einbuchten.«
»Haben Sie denn keine Angst, daß er zurückkommt?«
Myra lachte. »Die kommen nie zurück. Die gehn und schlitzen die nächste auf. Bis dahin bin ich verdammt noch mal raus hier.«
»Sie scheinen ja kein allzu großes Trauma durch die Vergewaltigung erlitten zu haben«, bemerkte Decker.
Ihre Augen blitzten bösartig. »Ich brauch’ nich zu heulen und zu stöhnen und zu flennen wie diese schwachen Tussis da draußen. Das heißt aber nich, daß ’s nich passiert is.«
»Das tut mir auch leid«, sagte Decker.
»Ihnen tut heut’ aber viel leid.«
Deckers Gehirn arbeitete rasch, und er versuchte, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Myra wollte nicht aussagen, weil sie nicht wollte, daß ihr sexuelles Verhalten vor Gericht zur Sprache kam. Sie war bereit, sich auf eine Urteilsabsprache über einen weniger schwerwiegenden Tatbestand einzulassen. Aber warum? Sie schien eine harte Frau zu sein und könnte bestimmt auch den ganzen Scheiß im Gerichtssaal durchstehen.
»Myra«, sagte Decker. »Ich will ja nicht unverschämt werden, aber die Leute wissen doch, was Sie tun. Warum ist es Ihnen so wichtig, es geheim zu halten?«
»Geht Sie nix an.«
Decker dachte scharf nach. Vor wem könnte sie ihre Vergangenheit verbergen wollen? Vor einem Freund? Ihren Eltern? Oder wollte sie ihren Zuhälter schützen, indem sie nicht aussagte, weil sie Angst hatte, sie könnte im Zeugenstand irgendwas verraten?
Alles reine Vermutung. Er rief sich in Erinnerung, was er über sie wußte. Sie stammte aus Detroit, war aber dreimal in L. A. verhaftet worden.
Auf Verdacht hin sagte er: »Sie haben doch Ihre Mutter angerufen, nachdem es passiert ist. Und sie ist gekommen, um Ihre Wunden zu lecken. Sie weiß nicht Bescheid über Sie, oder?«
Myra atmete hastig ein, dann hustete sie, als ob sie den Hals voller Schleim hätte.
Decker wartete, bis sie fertig war, dann sagte er: »Ich mach’ Ihnen ja keinen Vorwurf, daß Sie’s vor ihr verheimlichen wollen. Wo liegt denn das Problem? Mama will nicht abreisen, bevor der ganze Schlamassel geklärt ist? Was bedeutet, wenn es zum Prozeß kommt, wird sie alles über Sie erfahren?«
»Mann, wenn ich gewußt hätt’, wie das alles läuft, hätt’ ich keinen Ton gesagt«, sagte Myra.
»Mama macht Sie verrückt?«
»Mister Po-liceman, Sie ham ja keine Ahnung. Mama is okay, wenn’s einem schlecht geht. Und sie is okay, wenn man Teeparties mit ’nem Pfarrer mag und zufällig sexuell voll normal ist. Aber da das Mädchen hier keine Jungs, keinen Mann und keine Babies wollte, sind wir halt nich so gut mit’nander klargekommen, verstehn S’, was ich mein’?«
Decker nickte. »Können Sie sie nicht irgendwie loswerden?«
»Wie Sie schon sagten, nicht bevor der ganze Schlamassel geklärt is. Verstehen S’ jetzt, warum ich kein’ Prozeß will? Als ich abgehaun bin, hab’ ich Mama geschrieben und ihr erzählt, ich hätt’ ’nen Job gefunden. Und sie fängt an: ›Was ist denn das für ein Job, Honey? Du hast doch nix gelernt.‹ Da hab’ ich ihr erzählt, ich würd’ am Tag als Kellnerin arbeiten und nachts lernen, um den High-School-Abschluß zu kriegen. Mama mag keine schlechten Mädchen. Da hat sie erst mal Ruhe gegeben. Nun is sie hier und fragt mich, wann ich nu endlich mein Abschluß habe. Ich muß sie hier rauskriegen,
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