Abtruennig
„Du hast echt kalte Hände…wann hast du Geburtstag? Ich weiß schon jetzt, was ich dir schenke…“
Wir überquerten die Hauptstraße.
„ Mein Geburtstag ist am neunzehnten Dezember“, antwortete ich ehrlich.
„ Kurz vor Weihnachten, dann hatten deine Eltern wohl Frühlingsgefühle.“
Ich nickte grinsend. „Anscheinend.“
„ Wie alt wirst du?“
Hundertzweiundsiebzig! „Ähm, dreiundzwanzig.“
Menschlich betrachtet würde das hingekommen.
„ Also bist du nicht ganz anderthalb Jahre älter als ich. Dezember…“, sie schien zu überlegen. „Dann müsstest du Schütze sein. Ich bin Stier, ob das passt?“
„ Du hast im April Geburtstag?“
„ Genau. Am sechsundzwanzigsten April.“
„ Glaubst du an Astrologie?“
Von dieser Materie wusste ich noch weniger als von Filmen.
Sie zuckte mit den Schultern.
„ Ich weiß nicht, wohl eher nicht. Aber ist doch ein gutes Omen, wenn unsere Sternzeichen zusammen passen würden, oder?“
„ Ich denke, es gibt andere Dinge, die weitaus ausschlaggebender sind.“
Ich lächelte. Ob beide sterblich sind, oder nicht... Die Stimme in meinem Kopf zischte wütend.
„ Vermutlich“, stimmte sie mir grinsend zu.
Schließlich erreichten wir in einem gemütlichen Tempo das besagte chinesische Restaurant. Es lag an der Ecke einer kleinen Nebenstraße und wirkte eher, wie ein Imbiss. Es waren nur drei andere Gäste da, doch das störte Lesley scheinbar nicht. Für mich war es perfekt, je weniger Zuschauer desto besser. Das grelle Licht der Neonröhren schmeichelte schließlich nicht unbedingt meiner bleichen Haut. Wir gingen hinein und setzten uns an einen der hinteren Plätze. Die exotischen Düfte, die aus der Küche strömten machten einem Sterblichen sicherlich Lust auf mehr. Für mich hatten sie keinerlei Bedeutung mehr, obwohl der Geruch nicht unbedingt unangenehm war.
„ Ich kann die Frühlingsrollen hier echt empfehlen. Die sind fabelhaft.“
Lesley zeigte mir eine Abbildung auf der Karte, die vor mir lag.
„ Klingt verlockend“, log ich wieder.
Wie sollte ich ihr sagen, dass ich nichts davon essen konnte.
Kurze Zeit später kam eine junge Asiatin zu uns an den Tisch.
„ Was darf ich euch bringen?“ Sie sprach ohne jeglichen Akzent bedeutend besseres Englisch als ich.
Ich sah Liz ermutigend an.
„ Nach dir.“
„ Okay. Also, ich hätte gerne die Frühlingsrollen mit dem Dip `süßsauer´ und einen Eistee, bitte.“
„ Aha, und für sie?“
Die Frage richtete sie an mich.
„ Hmm, mal sehen, ich bin nicht wirklich hungrig…bringen sie mir einfach das gleiche, wie für meine Freundin.“ Bei dem letzten Wort schaute Liz mich überrascht an. Mir war gar nicht richtig bewusst gewesen, dass ich dieses gewichtige Wort benutzt hatte.
„ Okay.“ Die Kellnerin zog von dannen.
Sobald sie weg war, beugte sich Lesley ein Stück nach vorne. „Freundin?“ Ihr Mund verzog sich zu einem angedeuteten Lächeln.
Ups! „Habe ich das gerade gesagt? Oh, tut mir leid…da hat wohl der Hunger aus mir gesprochen.“
„ Ich dachte, du hast keinen Appetit?“
Schon, fragt sich nur auf was.
„ Siehst du, das hat folgenschwere Auswirkungen.“
„ Ach so.“ Sie legte ihren Kopf schief und schmunzelte. „Du bist ziemlich redegewandt.“
Ich zuckte mit den Achseln.
„ Nicht immer.“
Die Bedienung brachte uns schnell die beiden Getränke.
„ Danke!“
Ich zog das Glas mit der trüben Flüssigkeit zu mir rüber. Ich fragte mich, wie es wohl schmeckte. Ich hatte noch nie Eistee getrunken, wie auch. Zu meinen Lebzeiten gab es so etwas noch nicht. Ob es schmeckte wie Tee, den man einfach hatte erkalten lassen? Ich konnte mich dummerweise auch nicht mehr an den Geschmack von Tee erinnern.
Liz nahm einen großen Schluck.
„ Das tut gut.“
Wir vertrieben uns die Zeit bis das Essen kam, indem wir uns über alltägliche Dinge unterhielten. Sie fragte mich viele Sachen, die ich relativ gut beantworten konnte. Welches Hauptfach ich belegt hatte – gut, da musste ich mir was aus den Fingern saugen – ob ich Sport trieb und ob ich tatsächlich Franzose sei. Ihr Wissenshunger wurde eigentlich nur unterbrochen, als uns die Frühlingsrollen serviert wurden. Mit sichtlichem Heißhunger machte sie sich über die knusprigen kleinen Teigröllchen her. Da ich meinen Mund frei hatte, dachte ich, es wäre an der Zeit, dass ich die Fragen stellte.
„ Nun, da du mich verhört hast, bin ich jetzt dran, okay?“
Sie lächelte und nickte, während sie
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