Achsenbruch
»Horst?«
»Ja?«
Thalbach sah ihn durchdringend an: »Warum hat Flenner dich zum Chef der Soko gemacht?«
Er sah ihr in das blasse Gesicht und fühlte sich für einen Moment wie ein Kameradenschwein. Katharina war Mitte dreißig und hätte seiner Meinung nach längst Hauptkommissarin werden müssen, aber ihre Karriere war auf schwer erklärbare Weise ins Stocken geraten: Geburt ihres Sohnes, Trennung von dem Vater des Kindes, Gemunkel über eine Änderung ihrer sexuellen Orientierung – der übliche Mist, den die Neidhammel in der Behörde gern als Waffe benutzten.
»Wärst du dran gewesen?«
»Sagen wir so: Ich warte darauf.«
»Habe ich nicht gewusst«, sagte er und sah ihr direkt in die Augen. »Und tut mir leid. Eigentlich habe ich sogar noch Urlaub. Meine Frau meint deshalb, dass der Präses hier etwas besonders Dreckiges vermutet und mich in Teufels Küche bringen will.«
Thalbachs Stirn lag noch immer in Falten: »Und was meinst du?«
Lohkamp zündete seine Zigarette an und zuckte dann mit den Schultern. »Ich habe keinen Schimmer, Katharina. Aber wenn hier jemand gegrillt werden soll, dann bin ich das.«
Die Unterhaltung wurde unterbrochen. Über den schmalen Feldweg rauschte ein dicker Mercedes heran und stoppte dicht vor der Absperrung. Ehe der Fahrer aussteigen und den Schlag öffnen konnte, sprang eine Frau um die fünfzig heraus und rannte auf die Explosionsstelle zu.
»Halt!«, schrie Lohkamp. »Bleiben Sie hier!«
Die Frau schien ihn gar nicht wahrzunehmen und wollte sich an ihm vorbeidrängen. Aber der Hauptkommissar war stärker: »Frau Sonnenschein! Sie können da nicht hin.«
»Lukas«, schluchzte sie, »wo ist er? Ich muss zu ihm!«
Katharina Thalbach fasste sie an den Armen: »Frau Sonnenschein, es tut mir so leid.«
»Bitte, ich muss …«
»Nein. Glauben Sie mir«, redete die Polizistin ihr zu und blickte ihr fest in die Augen. »Es ist wirklich besser so. Behalten Sie ihn im Gedächtnis, wie Sie ihn zuletzt gesehen haben.«
Sonnenschein gab nur noch einen gequälten, halb erstickten Laut von sich und sackte merklich in sich zusammen. Thalbach ahnte, dass sie jetzt keine verwertbaren Informationen von ihr erhalten würde. Sanft führte sie die Frau zu einem Notarztwagen.
Lohkamp ging derweil auf den Fahrer der OB zu, der rauchend an der Limousine lehnte. »Haben Sie eine Ahnung?«, fragte Lohkamp und deutete zum Explosionsort hinüber. Dabei kramte er in seinen Taschen nach seinem Dienstausweis.
»Lassen Sie stecken. Ich habe Sie schon mal im Präsidium gesehen«, sagte der Fahrer und schaute ebenfalls zu dem Platz hinüber, an dem Beißner gestorben war. »Sie meinen, wer das getan hat? Und warum?«
»Ja. Als Fahrer bekommen Sie doch eine Menge mit, Herr …«
»Harnisch. Wie die Ritterrüstung. Klar, ich weiß mehr als mancher andere. Aber nix, was für einen Bombenanschlag reicht.«
Er dachte ein paar Sekunden lang nach und schüttelte den Kopf: »Hat’s hier im Ruhrpott noch nie gegeben. Oberbürgermeister werden vielleicht hintenrum abgesägt. Und merken es erst, wenn ihnen auf dem Parteitag plötzlich ein paar Stimmen fehlen. Aber umgebracht?«
»Wenn Ihre Chefin nicht gemeint war, muss Herr Beißner das Ziel gewesen sein.«
»Beißner?« Der Fahrer warf achtlos den Rest seines Zigarillos auf den Boden. »Glaube ich nicht. Der schiebt … Der hat eine ruhige Kugel geschoben. Notar in Hattingen. Die Kanzlei liegt ganz nah bei seinem Lieblingsitaliener. Hat ab und zu sein Siegel unter einen Kaufvertrag gesetzt und einen Ehevertrag unterschrieben. Ansonsten schlug er die Zeit wohl damit tot, sein Geld zu zählen. Der war doch aus allem raus.«
»Kann sein. Aber was war heute? Wann haben Sie Ihre Chefin abgeholt?«
»Kurz vor acht.« Er sah noch einmal zu Sonnenscheins Haus hinüber. »Der blaue Lastwagen stand dort schon. War die Bombe da drin?«
Lohkamp nickte: »Wie’s aussieht vor dem Motorblock.«
»Und was ist mit dem Kabel vor der Einfahrt?«
Der Blick des Polizisten wurde starr: »Was für ein Kabel?«
»Als sie einstieg …«
»Wie stieg sie ein? Wo?«
»Normalerweise fahre ich vorwärts in die Garageneinfahrt. Aber heute kam mir meine Chefin schon auf der Straße entgegen, als ich ankam. Dann stieg sie vorne bei mir ein.«
»Moment. Müssen Sie ihr nicht die Tür aufhalten?«
Harnisch zeigte seine vom Nikotin verfärbten Zähne: »Sie mag das nicht. Wir ziehen diese Show nur ab, wenn wir offiziell irgendwo vorfahren. Sonst mach ich ihr nur
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