Achtung BABY!
eine ältere Frau, die unserem Dialog akustisch sehr zugetan war, und die konnte sich gar nicht mehr einkriegen: »Mei so wos. De junga Leit heitzudog.«
(Für Nichtbayern: »heitzudog« hat nichts mit einem Hund an der Heizung zu tun, sondern bedeutet schlichtweg »heutzutage«.)
Ich habe mich noch herzlich bedankt für ihre Einschätzung meiner selbst als »jungen« Vater. Das kommt in den Vierzigern ja nicht mehr so oft vor.
Wer wem ähnlich sieht, hängt vom Blickwinkel des jeweiligen Betrachters ab. Ich hatte schon alles dabei.
Person 1: »Die schaut total aus wie Sie, Herr Mittermeier.«
»Danke.«
Person 2: »Die ist ja ganz Ihre Frau.«
»Ja, ich weiß.«
Person 3: »Ich wüsst jetzt nicht, wem von Ihnen beiden sie ähnlich schaut.«
»Ich auch nicht. Aber das ist mir auch egal. Ich habe zu denen im rumänischen Waisenhaus gesagt: ›Hauptsache, die Kleine spricht deutsch.‹«
Aber wem schaut sie wirklich ähnlich? Meiner Frau oder mir? Als Lilly geboren wurde, hatte sie auf dem Kopf richtig viele schwarze Haare, und dunkle Augen. Ich atmete auf. Sie sah aus wie Gudrun, auch wenn da einige Gesichtszüge waren, die ich aus diversen Spiegeln kannte. Ich wollte immer, dass die Kleine meiner Frau ähnlich sieht. Da bin ich etwas unmännlich. Es ist ja tatsächlich so, dass die meisten Neugeborenen den Vätern ähnlicher sehen als den Müttern. Das ist wissenschaftlich belegt! Die Natur hat das so eingerichtet, damit die Väter sich wiedererkennen und sich bereitwilliger um ihren Nachwuchs kümmern. Schon eine coole Idee der Natur. Ob es was bewirkt, wurde noch nicht erforscht. Ich habe mir während der Schwangerschaft immer gewünscht, dass die kleine Lilly nach der Mama kommt. Zum einen finde ich meine Frau hübscher als mich, und es passt so auch besser zu einem Mädchen. Zum Zweiten wollte ich einfach nicht, dass mir meine Tochter zu ähnlich schaut, weil doch viele Leute mein Gesicht aus dem Fernsehen kennen. Und ich dachte, dass es seltsam sein könnte, wenn meine Tochter später mal aussieht wie ein Komiker. Das ist der Boris-Becker-Effekt. Dessen Tochter wird es später auch mal schwer haben. Stell dir vor, die ist 18, schleppt nachts in der Disco einen Typen ab und muss dann am nächsten Morgen, wenn er sie das erste Mal bei Licht sieht, hören: »Uaaaah! Scheiße, ich habe Boris Becker gepoppt.«
Auf der anderen Seite könnte es für meine Tochter später auch mal ein Schutz gegen aufdringliche Typen sein. Denen könnte sie ganz leicht drohen: »Schau mir ins Gesicht. Erkennst du was? Möchtest du, dass mein Vater dich vor allen verarscht?«
»Öh, nein.«
»Dann zieh Leine.«
Mittags um eins kamen sie alle, und das Spiel begann. Die Großeltern und Geschwister verglichen und verglichen, und dann verglichen sie den ersten Vergleich mit einem zweiten Vergleich: »Der Mund ist vom Michl … der Haaransatz von der Gudrun … die Augen auch Mama … die Ohren müssen erst noch etwas wachsen … die Nase hat sie auch von der Mama … aber die Augenbrauen wiederum …«
Man steht als Eltern daneben und kommt sich vor wie ein Ersatzteillager, aus dem sich jeder was aussuchen darf. Aber einen Spaß hatte ich. Bevor alle kamen, hatte ich Lilly noch mit einem Stift ein Muttermal auf den Hals gemalt. Es herrschte ein großes Rätseln. Tagelang währten die Diskussionen, von wem sie das wohl hätte. Ich kann das nur empfehlen.
Schön ist auch, dass immer der Eltern- und Geschwisterteil des jeweiligen Clans die größere Ähnlichkeit bei sich in der Verwandtschaft sieht. Einer Freundin von mir erging es ganz krass. Die Schwiegereltern mutmaßten an ihrem Wochenbett: »Die Augen hat sie vom Papa. Den Mund auch. Auch die Nase. Die Haare auch. Das Gesicht ganz der Vater. Und wie es sich bewegt, wie unser Sohn.«
Sie lag da und sagte noch: »Schön, dass ich auch da bin.«
Aber da muss man ruhig bleiben, das kann sonst zur Katastrophe führen. Nachdem die Schwiegereltern eine halbe Stunde die eigenen Familienähnlichkeiten durchgegangen sind, kam die Frage an die frische Mutter: »Wie war denn die Geburt für dich?«
»Ich weiß es nicht, ich war nicht daran beteiligt, das sieht man doch am Endergebnis.«
Liebe neue Mütter, tut das nicht! Sagt eher so Sachen wie: »Eswar schon schwer für euren Sohn. Er war so tapfer. Er hat mir ja so geholfen.«
Dafür kommt ihr in den Schwiegerelternhimmel.
Manchmal kam mir in den ersten Tagen alles an unserer Kleinen vertraut vor, aber in manchen Momenten
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