Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut

Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut

Titel: Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
positives PSA-Ergebnis steigert also bei einem 60-jährigen Mann die ursprünglich zu veranschlagende Wahrscheinlichkeit von 1 % für Prostatakrebs (das ist die sogenannte
A-priori
-Wahrscheinlichkeit)auf nur 3,9 %. Das ist die sogenannte
A-posteriori
-Wahrscheinlichkeit. Das Bayes-Theorem nimmt in der beschriebenen Weise eine Aktualisierung der Krebswahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung der neu hinzukommenden Information vor (eben eines positiven Testresultats). Das Bayes-Theorem ist also in dieser Sichtweise eine Methode der Neuberechnung von Wahrscheinlichkeiten durch Einarbeitung neuer Fakten und Gegebenheiten.
    Das erhaltene Ergebnis ist außerordentlich überraschend. Selbst bei positivem Krebstest ist die Wahrscheinlichkeit für Krebs nur 3,9 %. Es ist also immer noch hochwahrscheinlich, keinen Krebs zu haben. Dieser niedrige Prozentsatz liegt fernab vom Bereich des Erwarteten. Warum ist dieser Wert so niedrig? Wie lässt er sich plausibel machen?
    Wenn der PSA-Test positiv ausfällt, kann einer von zwei Fällen vorliegen. Erstens: Der Getestete leidet tatsächlich an Krebs (Wahrscheinlichkeit 0,01) und das Testergebnis teilt dies korrekt mit (bedingte Wahrscheinlichkeit 0,80). Zweitens: Der Getestete leidet nicht an Krebs (Wahrscheinlichkeit 0,99) und der Test macht einen Fehler (bedingte Wahrscheinlichkeit 0,20). Da es nun aber 20-mal wahrscheinlicher ist, dass der Test einen Fehler begeht, als dass beim Untersuchten tatsächlich Krebs vorliegt, ist der zweite Fall gegenüber dem ersten erheblich wahrscheinlicher.
Ein positives Testergebnis geht mit größerer Wahrscheinlichkeit auf einen Testfehler zurück, als dass es auf Krebs hinweist.
    Der gedankliche Fehlschluss, der in diesen und ähnlichen Situationen sehr verbreitet ist, besteht in der Aktualisierung der 1 % A-priori-Wahrscheinlichkeit auf falsche 80 % Krebswahrscheinlichkeit nach positivem Test. Letztlich basiert er auf einer Verwechslung zweier bedingter Wahrscheinlichkeiten: der gesuchten A-posteriori-Wahrscheinlichkeit mit der bekannten Zuverlässigkeitswahrscheinlichkeit des Testverfahrens. Es liegt deshalb ein Denkfehler vor, weil die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann mit Prostatakrebs ein positives Testresultat hat, nicht dieselbe ist wie die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann mit positivem Testresultat Prostatakrebs hat. Damit haben wir einenverbreiteten Denkfehler bei Wahrscheinlichkeiten lokalisiert und hoffentlich entschärft.
    Wenn man diese scheinbar so harmlosen Rechnungen interpretiert, ist das Resultierende im Grunde ungeheuerlich. Es ist erstens ernst und zweitens zwingend nötig, sich dieses Effektes bewusst zu sein. Ein positiver Krebstest ist sicherlich ein existentiell erschütterndes Ereignis, ein definierender Moment für jeden Patienten. Doch die meisten der positiv auf Krebs getesteten Patienten leiden nicht an Krebs, sondern werden von einem fehlerhaften Test in die Irre geführt. Es tritt die Frage auf, wozu ein Krebstest dann überhaupt gut ist. Nun, bei negativem Testergebnis kann man so gut wie sicher sein, dass man nicht an Krebs leidet. Beim obigen PSA-Testverfahren ist man bei negativem Testergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,997, also von 99,7 %, gesund. Bei positivem Testausgang hingegen sind angesichts des zuvor Gesagten in jedem Fall weitergehende Untersuchungen zur Verifikation oder Falsifikation des Testbefundes nötig.
    Das Skizzierte ist alles andere als kleinformatig und mehr als nur eine kleine Vorstudie zu einer allgemeinen Testtheorie medizinischer Testverfahren. Ähnliches gilt mit entsprechender Anpassung der Zahlenwerte an die konkreten Gegebenheiten prinzipiell für jede medizinische Testsituation auf eine seltene Krankheit. Ein anderes Beispiel ist Trisomie-21, eine genetische Anomalie, deren Träger das Chromosom Nr. 21 dreifach besitzen. Diese auch als Down-Syndrom bezeichnete genetische Ausprägung kann durch eine Fruchtwasseruntersuchung im Mutterleib festgestellt werden. Es ist ein diagnostisches Verfahren mit hoher Zuverlässigkeit. Das Untersuchungsergebnis ist positiv in 99 % aller Fälle, in denen das Down-Syndrom vorliegt. Ebenso ist in 99 % aller Fälle, in denen der Fötus nicht vom Syndrom betroffen ist, das Ergebnis richtigerweise negativ. Die Häufigkeit des Auftretens des Down-Syndroms hängt stark vom Alter der Mutter ab: In der Altersklasse der 25-jährigen Mütter ist nach Hook et al. (1983) lediglich einer von 1250 Föten hiervon betroffen. Mit analoger

Weitere Kostenlose Bücher