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Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut

Titel: Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Maureen ließ sich natürlich eine Essenseinladung nicht entgehen. Mandy merkte, daß auch ihr der Magen knurrte, aber sie tröstete sich damit, daß sie mit ein bißchen Glück vor dem Konzert noch rasch ein Sandwich an der Bar würde ergattern können.
    Der Innocent Walk lag, wie gewöhnlich um diese Zeit, völlig verlassen da. Die Rückfront von Innocent House ragte wie eine düstere Bastion gen Himmel, aber als sie dann, den Kopf in den Nacken geworfen, daran emporschaute, wirkte die Silhouette mit einemmal so schwankend und windig wie ein Scherenschnitt, der sich vor den tiefhängenden Wolken duckte, die, rosig überhaucht von den Lichtern der City, über den Himmel jagten. Die Pfützen am Wegrand waren inzwischen getrocknet, und am Ende der Innocent Lane wehte ihr eine frische Brise entgegen, die die starke Ausdünstung des Flusses herübertrug. Die einzigen Lebenszeichen waren die erleuchteten Fenster in der obersten Wohnung von Nummer 12. So wie es aussah, war zumindest Miss Peverell inzwischen nach Hause gekommen. Mandy stellte den Motor ab und schob die Maschine, um Miss Peverell nicht zu stören und auch, weil sie nicht wollte, daß man sie hörte und womöglich mit Fragen aufhielt. Flink und leise wie ein Dieb schlich sie den Weg entlang auf das schimmernde Band der Themse zu, bis an den Platz, wo sie untertags immer ihre Yamaha parkte. Die Lampen im Vorhof spendeten genügend Licht, aber sie brauchte gar nicht groß zu suchen. Die Börse lag genau da, wo sie sie vermutet hatte. Sie stieß einen kleinen, fast unhörbaren Freudenschrei aus, steckte den Geldbeutel tief in die Jackentasche und zog sorgsam den Reißverschluß zu.
    Das Zifferblatt ihrer Uhr war weniger leicht zu erkennen, und Mandy ging noch einen Schritt auf die Themse zu. An jedem Ende der Uferterrasse warf eine der beiden großen, von Bronzedelphinen getragenen Kugellampen einen glänzenden Lichtkegel auf die bewegte Wasserfläche, die schimmerte wie ein weiter, schwarzseidener Mantel, von unsichtbarer Hand geschüttelt, geglättet und dann wieder sanft gebauscht. Mandy kniff die Augen zusammen und sah angestrengt auf ihre Uhr: Zwanzig nach acht. Es war später, als sie gedacht hätte, und plötzlich merkte sie, daß ihr die Lust auf das Konzert vergangen war. Der Erleichterung über die wiedergefundene Börse folgte ein gewisser Erschöpfungszustand, eine Art zufriedener Lethargie, die ihr den Gedanken an die gemütliche Enge ihres Wohnschlafzimmers, an die Küche, die sie ausnahmsweise einmal für sich allein haben würde, und an einen Abend vor dem Fernseher von Minute zu Minute verlockender erscheinen ließ. Außerdem hatte sie noch das Video von Scorseses Kap der Angst, das morgen zurückgegeben werden mußte; wenn sie das heute abend nicht anschaute, waren zwei Pfund Leihgebühr zum Fenster hinausgeworfen. Da sie jetzt nicht mehr in Eile war, drehte sie sich, fast ohne es zu wollen, um und sah noch einmal an der Fassade von Innocent House hinauf.
    Die beiden unteren Stockwerke wurden von den Lampen auf der Terrasse schwach erleuchtet, und die schlanken Marmorsäulen hoben sich sanft glänzend vor den toten Fenstern ab, schwarzen, hohlen Öffnungen in ein Interieur, das, obwohl sie es jetzt so gut kannte, aus dieser Perspektive geheimnisvoll und bedrohlich wirkte. Wie merkwürdig, dachte sie; da drinnen ist sicher alles noch genau so, wie ich es vorhin verlassen habe: die beiden Computer mit den abgedeckten Tastaturen, Miss Blacketts ordentliche Schreibtischplatte mit ihren aufeinandergestapelten Ablagekörben, ihrem akkurat auf der rechten Seite plazierten Terminkalender, den verschlossenen Aktenschrank und endlich das Schwarze Brett rechts von der Tür. All diese alltäglichen Dinge blieben an ihrem Platz, auch wenn niemand da war, der sie sehen konnte. Und es war ja niemand da, keine Menschenseele. Sie dachte an den kleinen, kahlen Raum oben unterm Dach, in dem in so kurzer Zeit zwei Menschen gestorben waren. Der Stuhl und der Tisch würden auch dort immer noch an ihrem Platz stehen, aber das Bett war nicht mehr da und natürlich auch keine Frauenleiche oder der nackte Mann, der sich mit den Händen in den bloßen Dielen verkrallte. Plötzlich sah sie wieder Sonia Clements’ Leiche vor sich, aber plastischer und furchteinflößender, als sie ihr an jenem Morgen in Wirklichkeit erschienen war. Und dann fiel ihr ein, was Ken, der Packer, ihr erzählt hatte, als sie neulich mit einer Nachricht nach Nummer 10 gekommen und noch ein

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