Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
bei dem
Steinkreis eine Taschenlampe schwenken. Zwei Personen, vielleicht mit
ganz verschiedenen Absichten. Wenn es eine gemeinsame Sache war, wären
die Westhalls die naheliegenden Verdächtigen. Ein anderer wichtiger
Anhaltspunkt ist Dean Bostocks Aussage, die Tür zur Lindenallee sei
unverriegelt gewesen. Die Tür hat zwei Sicherheitsschlösser, aber
Chandler-Powell behauptet steif und fest, dass er jeden Abend um elf
Uhr den Riegel vorschiebt, es sei denn, es ist noch jemand draußen. Er
ist sich ganz sicher, die Tür wie üblich verriegelt zu haben, und sie
war auch am nächsten Morgen verriegelt. Nachdem er um halb sieben
aufgestanden war, hat er als Erstes die Alarmanlage ausgeschaltet und
die Tür zur Lindenallee überprüft.«
Benton unterbrach sie: »Dean Bostock hat schon früh um sechs
nach dem Riegel gesehen. Vielleicht finden wir Fingerabdrücke auf dem
Riegel?«
»Das dürfte aussichtslos sein«, sagte Kate. »Chandler-Powell
hat die Tür entriegelt, als er und Marcus Westhall hinausgegangen sind,
um das Grundstück und den Steinkreis abzusuchen. Und vergesst nicht den
Fetzen vom Handschuh. Unser Mörder hatte nicht die Absicht,
Fingerabdrücke zu hinterlassen.«
Dalgliesh sagte: »Wenn wir annehmen, dass weder
Chandler-Powell noch Bostock die Unwahrheit sagen – und dass
Bostock lügt, glaube ich nicht –, dann hat jemand im Haus die
Tür nach elf Uhr entriegelt, entweder um das Manor zu verlassen oder um
jemanden hereinzulassen. Oder beides. Damit wären wir bei Mogworthys
Behauptung, kurz vor Mitternacht bei den Steinen ein geparktes Auto
gesehen zu haben. Der Mörder von Miss Gradwyn war entweder schon im
Haus – ein Mitglied des Personals oder jemand, der sich
Zutritt verschafft hat –, oder er kam von draußen. Und selbst
wenn diese Person zwei Sicherheitsschlüssel besaß, hätte er oder sie
nicht ins Haus gekonnt, solange die Tür von innen verriegelt war. Aber
wir können nicht länger er oder sie sagen. Unser Mörder braucht jetzt
einen Namen.«
Jeder Mörder bekam vom Team einen Namen, weil Dalgliesh eine
Abneigung gegen die üblichen Benennungen hatte, und meistens dachte
sich Benton einen aus. Diesmal sagte er: »Wir machen ihn doch sonst
fast immer männlich, Sir, warum nicht mal eine Frau zur Abwechslung?
Oder einen androgynen Namen, der zu beiden Geschlechtern passt? Der
Mörder kam nachts. Wie war's mit Noctis – durch die oder aus
der Nacht?«
»Warum nicht?«, sagte Dalgliesh. »Nennen wir ihn Noctis, aber
zunächst sollte er ein Mann bleiben.«
»Was das Motiv angeht, sind wir noch keinen Schritt weiter«,
sagte Kate. »Candace Westhall wollte Chandler-Powell davon überzeugen,
Rhoda Gradwyn nicht im Manor zu behandeln, so viel wissen wir. Warum
hätte sie das tun sollen, wenn sie einen Mord plante? Es sei denn, es
war ein doppelter Bluff. Aber wir könnten es ja auch mit einer Tat im
Affekt zu tun haben, und Noctis hegte noch keine Mordabsichten, als er
das Zimmer betrat?«
Dalgliesh sagte: »Dagegen sprechen die Handschuhe und die
Tatsache, dass sie anschließend vernichtet wurden.«
Benton sagte: »Aber wenn es eine geplante Tat war, warum zu
einem Zeitpunkt, als nur eine andere Patientin im Haus war und die
Abwesenheit des gesamten externen Personals den Kreis der Verdächtigen
erheblich einschränkte?«
Kate war ungeduldig. »Weil es der einzig mögliche Zeitpunkt
war. Sie hatte nicht vor, noch einmal wiederzukommen. Sie wurde
getötet, weil sie hier im Manor und relativ hilflos war. Es ist nur die
Frage, ob der Mörder sich das als glücklichen Umstand zunutze gemacht
oder vorher aktiv dafür gesorgt hat, dass Rhoda Gradwyn nicht nur
diesen Chirurgen, sondern auch das Manor statt eines Londoner Betts
wählte, das doch auf den ersten Blick viel günstiger für sie gewesen
wäre. London war ihre Stadt. Sie lebte in London. Warum hier? Und das
führt uns zu der Frage, warum ihr sogenannter Freund Robin Boyton sich
zur selben Zeit hier einquartiert hat. Wir haben ihn noch nicht
vernommen, aber er wird uns schon ein paar Fragen beantworten müssen.
Was war das eigentlich für eine Beziehung? Und dann seine dringliche
SMS auf Gradwyns Handy. Offensichtlich war er ganz versessen auf diesen
Besuch bei ihr. Er wirkte ehrlich bestürzt über ihren Tod, aber wie
viel daran war Schauspielkunst? Er ist ein Cousin der Westhalls, und
ganz offensichtlich steigt er häufig im Besucherhaus ab. Er könnte sich
die Schlüssel bei einem früheren Besuch verschafft und kopiert
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