Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
zurück in ihre
Suite im Patientenflügel gebracht. Sie nahm ein leichtes Abendessen zu
sich, wurde mehrmals von Schwester Holland besucht, und als Mr.
Chandler-Powell und Schwester Holland um zehn noch einmal bei ihr
reinschauten, war Miss Gradwyn für die Nachtruhe bereit. Ein
Schlafmittel lehnte sie ab. Schwester Holland gibt an, gegen elf ein
letztes Mal bei Miss Gradwyn gewesen zu sein, und da habe sie
geschlafen. Zwischen elf und halb eins ist sie nach Dr. Glenisters
Einschätzung durch manuelles Abdrücken der Atemluft ermordet worden.«
Dalgliesh und Kate hörten schweigend zu. Benton befürchtete,
dass er zu viel Zeit auf das Offensichtliche verwendete. Ein Blick auf
Kate zeigte ihm keine Reaktion, und er fuhr fort: »Wir haben ein paar
wichtige Einzelheiten dieser Nacht erfahren. Die einzige andere
Patientin im Haus, Mrs. Skeffington, ist einmal aufgewacht und auf die
Toilette gegangen. Möglicherweise wurde sie vom Lift geweckt, den sie
nach ihren Angaben um zwanzig vor zwölf hörte. Und weiter gibt sie an,
vom Schlafzimmerfenster aus ein Licht bei den Cheverell-Steinen gesehen
zu haben. Das muss kurz vor Mitternacht gewesen sein. Weil sie sich
fürchtete, rief sie die Hilfsköchin Kimberley Bostock an und bat um
eine Kanne Tee. Sie brauchte wohl Gesellschaft, wie kurz auch immer,
und wollte Schwester Holland nicht wecken, die nebenan schlief.«
»Hat sie das nicht auch gesagt, als Kimberley und Dean ihr den
Tee brachten?«, fragte Kate.
»Jedenfalls war Mrs. Bostock ihr lieber als Schwester
Holland«, fuhr Benton fort. »Das erscheint mir ganz plausibel, Sir.
Mrs. Bostock war sich nicht sicher, ob Mrs. Skeffington Tee bekommen
durfte, weil sie doch am nächsten Morgen operiert werden sollte. Ihr
war klar, dass sie erst Schwester Hollands Zustimmung einholen musste.
Also ließ sie Dean vor Mrs. Skeffingtons Suite stehen, klopfte bei der
Oberschwester an die Tür und spähte hinein.«
Kate fuhr fort: »Sie sagt, sie hätte einen Streit gehört.
Chandler-Powell nennt es ein Gespräch. Was immer es war, offensichtlich
ist Chandler-Powell der Meinung, mit diesem Eingeständnis ein Alibi für
sich selbst und Schwester Holland zu liefern. Natürlich hängt das vom
tatsächlichen Todeszeitpunkt ab. Er behauptet, nicht auf die Minute
genau zu wissen, wann er zu Schwester Holland in die Wohnung gegangen
ist, und auch sie bleibt erstaunlich unpräzise. Indem sie die Zeit im
Ungewissen lassen, vermeiden sie einerseits den Eindruck, ein Alibi für
die exakte Tatzeit zu haben, was immer verdächtig ist, sie sind aber
auch nicht ganz ohne Alibi. Theoretisch wäre es möglich, dass einer von
beiden Rhoda Gradwyn bereits getötet hatte, als sie zusammen waren.«
»Vielleicht können wir den Tatzeitpunkt noch etwas präziser
eingrenzen«, sagte Benton. »Mrs. Skeffington will gehört haben, wie der
Lift nach unten fuhr, als sie aufwachte und bevor sie nach dem Tee
klingelte. Angeblich war das um zwanzig vor zwölf. Der Lift befindet
sich gegenüber von Schwester Hollands Wohnung am Ende des Flurs, ein
moderner Lift, relativ leise. Wir haben das überprüft; man hört ihn
sehr gut, wenn sonst alles still ist.«
»Aber das war es nicht«, sagte Kate. »Offenbar herrschte
letzte Nacht starker Wind. Und wenn sie den Lift gehört hat, warum hat
Schwester Holland ihn dann nicht gehört? Es sei denn, sie und
Chandler-Powell waren im Schlafzimmer und zu beschäftigt mit Streiten,
um ihn zu hören. Oder mit Sex, was einen Streit nicht unbedingt
ausschließen würde. Auf jeden Fall dürfen wir nicht darauf hoffen, dass
Kimberley Bostock fest zu ihrer Aussage steht.«
Benton fuhr ohne Kommentar fort. »Wenn sie im Wohnzimmer
gewesen wären, hätte einer von beiden Mrs. Bostocks Klopfen hören oder
zumindest sehen müssen, wie sich die Tür einen Spaltbreit öffnete.
Außer den Bostocks, die den Tee heraufgebracht haben, will in dieser
Nacht niemand mit dem Lift gefahren sein. Wenn Mrs. Skeffingtons
Angaben richtig sind, erscheint es plausibel, die Todeszeit auf
ungefähr halb zwölf festzulegen.«
Benton warf einen Seitenblick auf Dalgliesh, während Kate
weitermachte. »Es ist schade, dass sie nicht präziser angeben kann,
wann sie den Lift gehört und wann sie das Licht gesehen hat. Wenn
zwischen beiden Ereignissen kein längerer Zeitraum lag – zum
Beispiel länger als es dauert, vom Lift zu den Steinen zu
gehen –, dann haben wir es mit zwei Personen zu tun. Der
Mörder kann nicht gleichzeitig aus dem Lift kommen und
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