Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
teil, aber vermutlich war DC Warren
eher erleichtert als gekränkt darüber, ausgeschlossen zu sein. Er hatte
Benton erzählt, wenn er nicht ausdrücklich gebraucht werde, würde er um
sieben Uhr zurück nach Wareham fahren, zu seiner Frau und seinen vier
Kindern. Insgesamt bewies er durchaus Fähigkeiten. Benton mochte ihn
und fühlte sich wohl, wenn dieses Muskelpaket von beinahe einem Meter
neunzig neben ihm herging. Benton hatte ein starkes Interesse daran,
dass Warrens Familienleben nicht zu sehr gestört wurde. Warrens Frau
stammte aus Cornwall, und er hatte an diesem Morgen eine Spezialität
von dort zur Arbeit mitgebracht: sechs ganz besonders saftige und
schmackhafte Fleischpasteten.
3
D algliesh redete wenig auf der Fahrt nach
Norden. Das war nichts Ungewöhnliches, und Kate empfand seine
Schweigsamkeit auch nicht als unangenehm; mit Dalgliesh in
einvernehmlichem Schweigen Auto zu fahren, war ein seltenes Vergnügen,
das sie persönlich sehr schätzte. Als sie sich dem Stadtrand von
Droughton Cross näherten, konzentrierte sie sich darauf, rechtzeitig
vor dem Abbiegen präzise Anweisungen zu geben. Im Geiste ging sie schon
die Vernehmung durch, die ihnen bevorstand. Dalgliesh hatte Reverend
Curtis nicht vorab von ihrer Ankunft in Kenntnis gesetzt. Das war wohl
auch nicht nötig, denn Priester konnte man für gewöhnlich an Sonntagen,
wenn nicht in ihrem Pfarrhaus oder in der Kirche, so doch irgendwo in
ihrem Pfarrbezirk antreffen. Ein Überraschungsbesuch hatte außerdem
Vorteile.
Die Adresse, die sie suchten, lautete 2 Balaclava Gardens, das
war die fünfte Querstraße vom Marland Way, einer breiten Straße, die
ins Stadtzentrum führte. Hier herrschte keine Sonntagsruhe. Autos,
Lieferwagen und eine Reihe von Bussen drängten sich dicht auf der vom
Regen glänzenden Straße. Das dumpfe Dröhnen bildete einen permanenten,
disharmonischen Diskant zu dem ständigen Gedudel von ›Rudolph the Red
Nosed Reindeer‹, das sich gelegentlich mit den ersten Strophen der
bekannteren Weihnachtslieder abwechselte. Das ›Winterfest‹ wurde im
Stadtzentrum mit den offiziellen städtischen Dekorationen zweifellos
angemessen begangen, aber auf dieser weniger privilegierten Fernstraße
erinnerten die unkoordinierten Eigeninitiativen der örtlichen
Geschäftsleute und Cafébesitzer, die durchweichten Lampions und die
verblichenen Wimpel, die schwingenden Lichterketten, die abwechselnd
rot, grün und gelb blinkten, und die vereinzelten kärglich geschmückten
Weihnachtsbäume weniger an einen festlichen Anlass als an ein
verzweifeltes Aufbäumen gegen die Trostlosigkeit. Die Gesichter der
Kunden verschwammen hinter den regennassen Seitenfenstern zur
flüchtigen Unwirklichkeit ätherischer Erscheinungen.
Was sie durch die Schlieren auf den Scheiben sahen –
der Regen hatte während der ganzen Fahrt nicht nachgelassen –,
hätte jede beliebige Durchgangsstraße in einem wenig wohlhabenden
Außenbezirk einer Stadt sein können. Sie war weniger gesichtslos als
vielmehr eine amorphe Mischung aus Alt und Neu, aus Vernachlässigtem
und Renoviertem. Ketten von kleinen Läden wurden unterbrochen von
Hochhäusern, und eine kurze Reihe guterhaltener, offensichtlich aus dem
achtzehnten Jahrhundert stammender Häuser bildete einen unerwarteten
und unpassenden Kontrast zu den Cafe-Imbissen, den Wettstuben und den
grellen Ladenschildern. Leute liefen mit eingezogenem Kopf scheinbar
ziellos im strömenden Regen umher oder suchten unter Ladenmarkisen
Schutz und betrachteten den Verkehr. Nur die Mütter, die ihre mit
Plastikhauben bedeckten Kinderwagen schoben, legten eine beharrliche,
zielstrebige Energie an den Tag.
Kate kämpfte gegen die Mischung aus Schuldgefühlen und
Depressionen an, die sie immer beim Anblick von Hochhäusern überkam. In
einem solchen schmutzigen, rechteckigen Kasten, Monument des Ehrgeizes
lokaler Behörden wie menschlicher Verzweiflung, war sie zur Welt
gekommen und aufgewachsen. Von Kindheit an hatte sie nur den Drang
verspürt, zu flüchten, sich zu befreien von dem durchdringenden
Uringestank in den Treppenhäusern, dem ständig defekten Aufzug, den
Graffiti, dem Vandalismus, dem Geschrei. Und sie war geflüchtet. Sie
sagte sich, dass das Leben in einem Hochhaus heutzutage wahrscheinlich
besser war, selbst in einem Stadtzentrum. Aber sie konnte nicht daran
vorbeifahren, ohne das Gefühl zu haben, dass mit ihrer persönlichen
Befreiung etwas, das unveräußerlich Teil ihrer selbst war,
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