Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
lieber am Schreibtisch aus, das Licht dort ist
besser.« Collinsby setzte sich dorthin und wandte ihnen den Rücken zu.
Dann drehte er sich wieder um. »Es tut mir leid, ich habe Ihnen weder
Kaffee noch Tee angeboten. Wenn Inspector Miskin so freundlich wäre,
alles Nötige ist nebenan. Es könnte eine Weile dauern.«
»Ich kümmere mich darum«, sagte Dalgliesh und ging in den
Nebenraum. Die Tür ließ er offen. Man hörte Porzellan klirren, einen
Wasserkessel volllaufen. Kate wartete ein paar Minuten, dann ging sie
hinüber zu ihm und suchte in einem kleinen Kühlschrank nach der Milch.
Dalgliesh trug das Tablett mit drei Tassen und Untertassen herein und
stellte eine davon mit der Zuckerdose und dem Milchkännchen neben
Collinsby, der weiterschrieb und dann, ohne hinzusehen, eine Hand
ausstreckte und die Tasse zu sich hinzog. Er nahm weder Milch noch
Zucker, und so nahm Kate beides mit zum Tisch, wo sie und Dalgliesh
schweigend saßen. Sie war ziemlich müde, widerstand jedoch der
Versuchung, sich zurückzulehnen.
Dreißig Minuten später wandte sich Collinsby um und reichte
Dalgliesh die ausgefüllten Blätter. »Es ist fertig. Ich habe mich
bemüht, bei den Tatsachen zu bleiben. Ich habe nicht versucht, mich zu
rechtfertigen, es gibt ohnehin keine Rechtfertigung. Müssen Sie
zusehen, wie ich unterschreibe?«
Dalgliesh trat zu ihm an den Tisch, und das Dokument wurde
unterschrieben. Er und Kate nahmen ihre Jacken zur Hand. Collinsby
verabschiedete sich förmlich von ihnen, als wären sie Eltern, die
gekommen waren, um über den schulischen Fortschritt ihrer Kinder zu
sprechen. »Es war freundlich von Ihnen, dass Sie in die Schule gekommen
sind. Ich bringe Sie zur Tür. Wenn Sie noch einmal mit mir sprechen
müssen, melden Sie sich einfach.«
Er schloss die Eingangstür auf und begleitete sie zum Tor. Das
Letzte, was sie von ihm sahen, war sein bleiches, angespanntes Gesicht
hinter dem Gitter. Er blickte ihnen nach wie ein Häftling. Dann schloss
er das Tor, wandte sich um, ging mit festen Schritten auf die Schultür
zu und trat ein, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Im Auto knipste Dalgliesh die Leselampe an und nahm die Karte.
»Die beste Strecke führt wohl über die M1 Richtung Süden, dann die M25
und die M3. Sie sind sicher hungrig. Wir müssen beide etwas essen, und
hier sieht es nicht sonderlich vielversprechend aus.«
Kate wollte weg von der Schule, von der Stadt, von der
Erinnerung an die letzte Stunde. »Wollen wir nicht irgendwo anhalten,
wenn wir auf der Autobahn sind? Nicht, um dort zu essen, aber wir
könnten uns ein Sandwich holen«, schlug sie vor.
Es hatte mittlerweile aufgehört zu regnen, nur noch wenige
schwere Tropfen, dickflüssig wie Öl, klatschten auf die Motorhaube. Als
sie auf der Autobahn waren, sagte Kate: »Es tut mir leid, was ich zu
Mr. Collinsby gesagt habe. Ich weiß, es ist unprofessionell, für einen
Verdächtigen Verständnis zu zeigen.« Sie wollte weitersprechen, aber
ihr versagte die Stimme, und sie konnte nur wiederholen: »Es tut mir
leid, Sir.«
Dalgliesh sah gar nicht zu ihr hinüber. »Sie haben aus
Mitgefühl heraus gesprochen«, sagte er. »Zu großes Mitgefühl kann den
Ermittlungen in einem Mordfall gefährlich werden, aber längst nicht so
gefährlich wie gar kein Mitgefühl. Es ist kein Schaden entstanden.«
Trotzdem flossen die Tränen, und er ließ sie weinen und hielt
den Blick auf die Straße gerichtet. Die Autobahn erstreckte sich als
grelles Spiel der Lichter vor ihnen, die Prozession der Abblendlichter
zur Rechten, das rollende Kaleidoskop des Verkehrs Richtung Süden, die
schwarzen Hecken und Bäume, immer wieder von den gewaltigen Konturen
der Lastzüge verdeckt, das Getöse einer Welt unbekannter Reisender,
alle demselben übermächtigen Zwang verhaftet. Als er das Schild einer
Rastanlage sah, setzte Dalgliesh den Blinker und nahm die Ausfahrt. Am
Rand des Parkplatzes fand er einen freien Platz und schaltete den Motor
aus.
Sie betraten ein Gebäude, das in Licht und Farben erstrahlte.
Jedes Café, jeder Laden war mit Weihnachtsdekorationen geschmückt, und
in einer Ecke sang ein kleiner Amateurchor so gut wie unbeachtet
Weihnachtslieder und sammelte für einen guten Zweck. Sie suchten den
Weg zu den Toiletten, holten sich Sandwiches und zwei große
Plastikbecher Kaffee und trugen sie zurück zum Auto. Während sie aßen,
rief Dalgliesh Benton an, um ihn ins Bild zu setzen, und nach zwanzig
Minuten waren sie wieder unterwegs.
Nach einem Blick
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