Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
auf Kates Gesicht, dem man ansah, wie stoisch
sie ihre Müdigkeit zu verbergen suchte, sagte er: »Es war ein langer
Tag, und er ist noch nicht zu Ende. Stellen Sie doch den Sitz zurück
und schlafen ein bisschen.«
»Es geht schon, Sir.«
»Wir müssen nicht beide wach bleiben. Auf dem Rücksitz liegt
eine Decke, wenn Sie hinkommen. Ich wecke Sie dann rechtzeitig.«
Er versuchte sich wach zu halten, indem er die Heizung
herunterschaltete. Wenn sie schlief, würde sie die Decke brauchen. Sie
schob den Sitz nach hinten und machte es sich bequem, die Decke bis zum
Hals, das Gesicht ihm zugewandt. Sie war fast auf der Stelle
eingeschlafen und schlief so leise, dass er kaum ihr sanftes Atmen
hörte. Nur gelegentlich gab sie ein kleines, zufriedenes Ächzen von
sich wie ein schlafendes Kind und kuschelte sich tiefer in die Decke.
Als er einen kurzen Blick auf ihr Gesicht warf, aus dem durch den Segen
der kleinen Ähnlichkeit des Lebens mit dem Tode alle Besorgnis gewichen
war, dachte er bei sich, welch ein gutes Gesicht es doch war –
es war nicht schön, sicherlich nicht hübsch im konventionellen Sinne,
aber ein gutes Gesicht, ehrlich, offen, angenehm anzusehen, ein
Gesicht, das Bestand haben würde. Jahrelang hatte sie ihr hellbraunes
Haar in einem dicken Zopf getragen, wenn sie an einem Fall gearbeitet
hatte; nun hatte sie es sich schneiden lassen, und es legte sich sanft
um ihre Wangen. Was sie von ihm brauchte, war mehr, als er geben
konnte, das wusste er, aber was er gab, wurde von ihr
geschätzt – Freundschaft, Vertrauen, Respekt und Zuneigung.
Doch sie verdiente viel mehr. Vor einem halben Jahr hatte er noch
gedacht, sie hätte es gefunden. Nun war er sich nicht mehr so sicher.
Er wusste, dass die Sonderkommission bald aufgelöst oder in
ein anderes Dezernat eingegliedert werden würde. Wie seine Zukunft
aussah, würde er selbst entscheiden. Kate würde ihre überfällige
Beförderung zum Detective Chief Inspector erhalten. Aber wie ging es
dann für sie weiter? Er hatte in letzter Zeit gespürt, dass sie es satt
hatte, allein zu reisen. Bei der nächsten Tankstelle fuhr er hinaus und
stellte den Motor ab. Sie rührte sich nicht. Er deckte ihren
schlafenden Körper fest mit der Decke zu und machte es sich für eine
kurze Pause bequem. Zehn Minuten später reihte er sich wieder in den
fließenden Verkehr ein, und sie rollten in südwestlicher Richtung durch
die Nacht.
5
T rotz der Anstrengungen und des
traumatischen Erlebnisses am vergangenen Tag wachte Kate zeitig und
ausgeschlafen auf. Nach ihrer späten Rückkehr aus Droughton war die
Besprechung intensiv, aber zügig vonstatten gegangen; ein reiner
Austausch von Informationen ohne ausführliche Diskussion der
Implikationen. Der Bericht zur Autopsie an Rhoda Gradwyns Leiche war am
Nachmittag eingetroffen. Dr. Glenisters Berichte waren immer sehr
ausführlich, aber diesmal gab es keine Überraschungen. Miss Gradwyn war
eine gesunde Frau gewesen, hätte auf eine erfüllte Zukunft hoffen
dürfen. Doch sie hatte zwei fatale Entscheidungen getroffen: sich die
Narbe entfernen und die Operation auf Cheverell Manor durchführen
lassen. Diese hatten letztlich zu den nüchternen, endgültigen sieben
Worten geführt: Tod durch Ersticken als Folge manueller
Strangulation. Als Kate zusammen mit Dalgliesh und Benton
den Bericht durchgelesen hatte, war wieder die wohlbekannte Wut
angesichts ihrer Machtlosigkeit gegen die mutwillige Zerstörung eines
Menschenlebens über sie gekommen.
Jetzt zog sie sich rasch an und stellte fest, dass sie Hunger
auf das aus Speck und Eiern, Würstchen und Tomaten bestehende Frühstück
hatte, das Mrs. Shepherd Benton und ihr servierte. Dalgliesh hatte
entschieden, dass nicht er oder Benton, sondern Kate Mrs. Rayner in
Wareham abholen sollte. Die Bewährungshelferin hatte noch spät am Abend
angerufen und mitgeteilt, dass sie den Zug um fünf nach acht von
Waterloo nehmen würde. Wenn alles gutging, sollte sie um zehn Uhr
dreißig in Wareham sein.
Der Zug war pünktlich, und Kate hatte keine Schwierigkeiten,
Mrs. Rayner in der kleinen Schar der ausgestiegenen Passagiere
auszumachen.
Mrs. Rayner sah Kate fest in die Augen und schüttelte ihr mit
einer kurzen Bewegung die Hand, als würde durch diesen formellen
Hautkontakt ein zuvor ausgehandelter Vertrag besiegelt. Sie war kleiner
als Kate, stämmig, und ihr markantes, hellhäutiges Gesicht bezog seine
Kraft aus einem festen Mund und dem energischen Kinn. Ihre
dunkelbraunen Haare
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