Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
Laufenden.«
»Hat sie jemals Bedauern darüber ausgedrückt, was sie getan
hat?«, fragte Kate.
»Nein, und das war auch das Problem. Sie wiederholt immer nur,
dass es ihr damals nicht leidgetan hat und sie nicht einsieht, warum es
ihr heute leidtun sollte, nur weil man sie erwischt hat.«
»Darin liegt zumindest eine gewisse Ehrlichkeit«, sagte
Dalgliesh. »Wollen wir nun mit ihr sprechen? Kate, bitte suchen Sie sie
und bringen sie hierher.«
Es dauerte eine Weile, bis Kate mit Sharon zurückkehrte, und
als sich nach einer Viertelstunde die Tür öffnete, war der Grund für
die Wartezeit offensichtlich. Sharon hatte sich noch zurechtgemacht,
ihre Arbeitskleidung durch Rock und Pullover ersetzt, die Haare auf
Glanz gebürstet und die Lippen geschminkt. Außerdem trug sie dicke
vergoldete Ohrringe. Kampflustig, jedoch mit einer gewissen Skepsis
trat sie ein und nahm Dalgliesh gegenüber Platz. Mrs. Rayner setzte
sich neben sie. Kate nahm dies als Zeichen dafür, wo ihre berufliche
Aufgabe und ihre Loyalität lagen. Kate nahm neben Dalgliesh Platz, und
Benton setzte sich mit aufgeschlagenem Notizbuch in die Nähe der Tür.
Als sie den Raum betreten hatte, war Sharon keinerlei
Überraschung angesichts der Anwesenheit von Mrs. Rayner anzumerken
gewesen. Nun richtete sie den Blick auf sie und sagte ohne jegliche
Feindseligkeit: »Ich hab mir schon gedacht, dass Sie früher oder später
hier aufkreuzen.«
»Ich wäre schon früher gekommen, Sharon, wenn Sie mir über
Ihre neue Arbeitsstelle und von Miss Gradwyns Tod berichtet
hätten – wie es natürlich Ihre Pflicht gewesen wäre.«
»Das hatte ich vor, aber null Chance bei den ganzen Bullen
hier im Haus, man war ja voll unter Beobachtung. Wenn die mich am
Telefon gesehen hätten, hätten sie mich ausgequetscht. Aber sie ist ja
erst Freitagnacht umgebracht worden.«
»Jedenfalls bin ich jetzt hier, und wir müssen ein paar Dinge
unter vier Augen besprechen. Aber vorher will Commander Dalgliesh Ihnen
ein paar Fragen stellen, und Sie müssen mir versprechen, dass Sie
wahrheitsgemäß und vollständig darauf antworten. Das ist wichtig,
Sharon.«
»Miss Bateman«, begann Dalgliesh, »Sie haben das Recht, einen
Anwalt zu rufen, wenn Sie es für notwendig halten.«
Sie starrte ihn an. »Wieso sollte ich einen Anwalt brauchen?
Ich hab doch nichts getan. Außerdem ist Mrs. Rayner hier. Sie wird
schon dafür sorgen, dass es hier mit rechten Dingen zugeht. Außerdem
habe ich Ihnen am Samstag in der Bibliothek schon alles gesagt, was ich
weiß.«
Dalgliesh sagte: »Nicht alles. Sie haben nicht gesagt, dass
Sie Freitagnacht das Manor verlassen haben. Sie sind ausgegangen, um
sich um Mitternacht mit jemandem zu treffen, und wir wissen auch, wer
das war. Wir haben mit Mr. Collinsby gesprochen.«
Nun gab es eine Veränderung. Sharon sprang auf, setzte sich
dann aber wieder hin, klammerte sich an der Tischkante fest. Sie lief
rot an, die täuschend sanften Augen weiteten sich, und Kate hatte den
Eindruck, all ihre Wut würde sich darin sammeln.
»Das können Sie Stephen nicht anhängen! Er hat diese Frau
nicht umgebracht. Er würde nie im Leben jemanden umbringen. Er ist ein
guter und freundlicher Mensch – und ich liebe ihn! Wir werden
heiraten.«
Mit sanfter Stimme sagte Mrs. Rayner: »Das ist nicht möglich,
Sharon, und das wissen Sie auch. Mr. Collinsby ist bereits verheiratet
und hat ein Kind. Ich glaube, als Sie ihn baten, in Ihr Leben
zurückzukommen, haben Sie eine Fantasie ausgelebt, einen Traum. Jetzt
müssen wir der Wirklichkeit ins Gesicht sehen.«
Sharon sah Dalgliesh an, der fragte: »Wie haben Sie
herausgefunden, wo sich Mr. Collinsby aufhielt?«
»Na, ich hab ihn doch im Fernsehen gesehen. Ich habe nach dem
Essen noch in meinem Zimmer geschaut. Ich hab den Kasten eingeschaltet,
und da war er. Und da hab ich mir die Sendung angeschaut,
stinklangweiliges Zeug über Schulen und Unterricht, aber ich habe
Stephen gesehen und seine Stimme gehört. Er war noch wie früher, bloß
älter. In der Sendung haben sie erzählt, was er an seiner Schule alles
verändert hat, und da hab ich mir den Namen aufgeschrieben und ihm
einen Brief geschickt. Auf den ersten hat er nicht geantwortet, also
habe ich ihm noch einen geschickt und geschrieben, dass er sich mal
lieber mit mir treffen soll. Weil es wichtig ist.«
»Haben Sie ihm gedroht? Entweder er trifft sich mit Ihnen oder
Sie erzählen jemandem, dass er bei Ihrer Familie gewohnt und Sie und
Ihre Schwester gekannt
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