Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
wenigstens gewaschen hat. Jetzt komme ich mir
natürlich richtig niederträchtig vor. Und das wird bis in alle Ewigkeit
so bleiben, so irrational es sein mag. Jedenfalls befindet
sich – soweit ich das sagen kann – sein gesamtes Hab
und Gut in diesem Raum, und was mich betrifft, so dürfen Sie gerne
alles durchsuchen. Verwandte, die etwas dagegen haben könnten, gibt es
nicht. Er hat mal einen Vater erwähnt, aber meines Wissens hatten sie
keinen Kontakt mehr, seit er ein kleiner Junge war. Sie werden
feststellen, dass die beiden Schubladen in dem Schreibtisch
abgeschlossen sind, aber ich habe keinen Schlüssel dafür.«
»Warum machen Sie sich Vorwürfe?«, fragte Benton. »Das Zimmer
ist eine Räuberhöhle. Er hätte zumindest in den Waschsalon gehen
können, bevor er hier eingezogen ist. Sie haben nur die Wahrheit
gesagt.«
»Aber ein bisschen Unordnung ist doch keine Todsünde! Was
machte das schon aus? Es war das ganze Trara nicht wert. Ich wusste
doch, wie er war. Einem Freund kann man durchaus einmal etwas
nachsehen.«
»Aber man kann nicht ständig aufpassen, was man sagt, weil ein
Freund sterben könnte, bevor man alles wieder ins Lot gebracht hat.«
Kate fand, dass es nun reichte. Benton schien noch nicht
fertig zu sein. Wenn sie jetzt nicht eingriff, würde er eine
moralphilosophische Diskussion über Freundschaft und Wahrheit vom Zaun
brechen. »Wir haben seine Schlüssel«, sagte sie. »Wahrscheinlich ist
der für die Schubladen auch dabei. Wenn es viele Unterlagen sind,
brauchen wir vielleicht eine Tüte, um sie mitzunehmen. Sie bekommen
eine Quittung dafür.«
»Sie können alles mitnehmen, Inspector. Stopfen Sie es in
einen Polizeiwagen. Mieten Sie einen Container. Verbrennen Sie es. Es
deprimiert mich unglaublich. Rufen Sie mich, wenn Sie fertig sind.«
Ihm versagte die Stimme, und wieder schien er den Tränen nahe
zu sein. Ohne ein weiteres Wort verschwand er. Benton ging zum Fenster
hinüber und öffnete es weit. Frische Luft strömte herein. »Ist es Ihnen
zu kalt so, Ma'am?«, fragte Benton.
»Nein, Benton, lassen Sie es nur offen. Wie kann jemand bloß
so leben? Es sieht so aus, als hätte er nicht die kleinste Anstrengung
unternommen, den Raum bewohnbar zu machen. Hoffen wir, dass der
Schreibtischschlüssel dabei ist.«
Es war nicht schwierig, den Schlüssel zu identifizieren, den
sie brauchten. Es war der allerkleinste an dem Bund, und er ließ sich
leicht in das Schloss an beiden Schubladen stecken. Sie versuchten es
erst mit der linken Seite, aber Kate musste fest ziehen, weil sich
hinten Papiere verkeilt hatten. Als sie die Schublade mit sanfter
Gewalt geöffnet hatten, quollen ihnen alte Rechnungen, Postkarten, ein
abgelaufener Kalender, ein paar unbenutzte Weihnachtskarten und diverse
Briefe entgegen und fielen auf den Boden. Benton öffnete die Tür
darunter, und auch darin stauten sich vollgestopfte Ordner, alte
Theaterprogramme, Manuskripte und Agenturfotos sowie ein Kulturbeutel,
in dem sich alte Bühnenschminke verbarg.
»Wir machen uns jetzt nicht die Mühe, dieses Durcheinander
sofort durchzusehen«, sagte Kate. »Schauen wir doch mal, ob die andere
Schublade etwas Erfreulicheres enthält.« Die zweite Schublade ließ sich
leicht aufziehen. Sie enthielt eine braune Papiermappe und ein Buch,
ein altes Taschenbuch, Der Tote von Exmoor von
Cyril Hare. In der Mappe lag nur ein einzelnes Blatt Papier, das auf
beiden Seiten beschriftet war.
Es war die Kopie eines Testaments, überschrieben mit Letzter
Wille und Testament von Peregrine Richard Westhall. Auf der
letzten Seite stand: Bestätigt am heutigen Tage, dem
siebenten Juli zweitausendfünf, durch meine Unterschrift. Bei
dem Testament lag eine Quittung über fünf Pfund, ausgestellt vom
Testamentsbüro in Holborn. Das ganze Dokument war handgeschrieben, in
aufrechter, schwarzer Schrift, an manchen Stellen kräftig, im letzten
Abschnitt jedoch etwas zittrig. Der erste Absatz benannte seinen Sohn
Marcus St. John Westhall, seine Tochter Candace Dorothea Westhall und
seine Anwälte Kershaw & Price-Nesbitt als
Testamentsvollstrecker. Im zweiten Abschnitt hatte er niedergelegt,
dass er im engsten Familienkreis eingeäschert werden wollte, es sollten
keine religiösen Zeremonien durchgeführt werden und auch später keinen
Gedächtnisgottesdienst geben.
Im dritten Abschnitt – die Schrift an dieser Stelle
war größer – stand: Ich vermache meine sämtlichen
Bücher dem Winchester College.
Die Bücher, die das College
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