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Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod

Titel: Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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sein. Diese Frage lässt sich nicht abstrakt betrachten. Ich bin
Polizist, kein Moraltheologe oder Ethiker.«
    »Das sind Sie sehr wohl, Commander. Mit dem Tode dessen, was
Sydney Smith als rationale Religion bezeichnet hat, und angesichts der
verwirrenden und unsicheren Botschaften der Verfechter dessen, was
bleibt, muss jeder zivilisierte Mensch ein Ethiker sein. Wir müssen uns
selbst unser Seelenheil gewissenhaft erarbeiten, auf der Basis dessen,
was wir glauben. Und jetzt antworten Sie mir, gibt es irgendwelche
Umstände, in denen Sie das Gesetz brechen würden, um einem anderen
Menschen zu nützen?«
    »In welcher Weise zu nützen?«
    »In jeder Weise, in der man jemandem nützen kann. Um eine Not
zu lindern. Jemanden zu schützen. Um ein Unrecht wiedergutzumachen.«
    »Wenn Sie es so allgemein formulieren, muss meine Antwort wohl
ja lauten«, sagte Dalgliesh. »Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen,
einer Frau, die ich liebe, zu einem barmherzigen Tod zu verhelfen, wäre
sie auf Shakespeares Folter dieser zähen Welt gespannt und jeder
Atemzug eine Qual. Ich hoffe, es wird nie so weit kommen. Aber da Sie
diese Frage nun stellen, ja, ich kann mir vorstellen, zum Wohle eines
Menschen, den ich liebe, das Gesetz zu brechen. Wenn es darum geht, ein
Unrecht wiedergutzumachen, bin ich mir nicht so sicher. Das setzt
voraus, ich besäße die Weisheit zu entscheiden, was richtig und was
falsch ist, und die Demut, darüber nachzudenken, ob meine Handlung die
Sache besser oder schlechter machen würde. Und jetzt möchte ich Ihnen
gerne eine Frage stellen. Verzeihen Sie, wenn Sie etwas unverschämt
klingt. Könnte dieser geliebte Mensch in Ihrem Fall Candace Westhall
sein?«
    Kershaw erhob sich mühselig, griff nach seiner Krücke und ging
hinüber zum Fenster. Eine Weile blieb er dort stehen und blickte
hinaus, als wäre dort draußen eine Welt, in der ihm niemand eine solche
Frage stellen oder zumindest keine Antwort darauf verlangen würde.
Dalgliesh wartete. Dann wandte sich Kershaw wieder ihm zu und ging
unsicheren Schrittes zurück zum Sessel, wie jemand, der gerade laufen
lernt.
    »Ich werde Ihnen nun etwas sagen, das ich noch nie einem
anderen Menschen erzählt habe, und ich werde es auch nie mehr tun«,
sagte er. »Ich glaube, dass mein Geheimnis bei Ihnen sicher ist.
Vielleicht kommt am Ende des Lebens eine Zeit, wenn ein Geheimnis zu
einer Last wird, die man gern auf die Schultern eines anderen abladen
möchte, als würde allein die Tatsache, dass jemand es kennt und mit
einem zusammen bewahrt, sein Gewicht mindern. Wahrscheinlich ist es
das, was religiöse Menschen in den Beichtstuhl treibt. Was muss das für
ein reinigender Ritus sein! Mir steht diese Möglichkeit nicht offen,
und ich möchte die Gottlosigkeit eines ganzen Lebens am Ende nicht auch
noch gegen einen unehrlichen Trost eintauschen. Deshalb erzähle ich es
Ihnen. Ich werde Ihnen keine Last aufbürden und keine
Unannehmlichkeiten bereiten, und ich wende mich an Adam Dalgliesh, den
Dichter, nicht an Adam Dalgliesh, den Polizisten.«
    »Im Moment ist das ein und derselbe«, warf Dalgliesh ein.
    »Vielleicht in Ihrer Vorstellung, Commander, aber nicht in
meiner. Und es gibt noch einen weiteren Beweggrund, mich zu offenbaren,
der keineswegs edel zu nennen ist, aber gibt es das überhaupt? Sie
glauben gar nicht, welche Freude es ist, mit einem zivilisierten
Menschen über etwas anderes als meinen Gesundheitszustand zu sprechen.
Das Erste und auch das Letzte, was ich hier vom Personal und den
Besuchern zu hören bekomme, ist die Frage nach meinem Befinden. Man
definiert mich nur noch über Krankheit und Sterblichkeit. Ihnen fällt
es wahrscheinlich schwer, höflich zu bleiben, wenn die Leute Sie nach
Ihren Gedichten ausfragen.«
    »Aber ich bemühe mich, denn sie meinen es ja nett, aber ich
mag es nicht, und es ist auch nicht einfach.«
    »Dann lasse ich Sie damit in Ruhe, wenn Sie mich mit dem
Zustand meiner Leber in Ruhe lassen.«
    Er lachte, ein hohes, hartes Keuchen, das eher wie ein
Schmerzensschrei klang. Dalgliesh wartete wortlos. Kershaw schien all
seine Kraft aufbringen zu müssen, um für seine dürre, knochige Gestalt
eine etwas bequemere Position im Sessel zu finden.
    »Im Grunde ist es eine ganz gewöhnliche Geschichte, die
überall passieren kann«, sagte er, »und die für niemanden außer für die
Betroffenen von besonderem Interesse ist. Vor fünfundzwanzig Jahren
bekam Candace ein Kind von mir. Ich war damals achtunddreißig, sie

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