Advocatus Diaboli
vielmehr.
Als er jedoch sein neues Spiegelbild ohne Trauerkleidung, kostümiert wie ein Weinhändler, erblickte und das Gesicht wiedersah, vor dem er seit so vielen Jahren geflohen war, erbleichte er so sehr, dass der Bader glaubte, er würde die Besinnung verlieren.
Benedetto Gui begab sich in das Viertel Mila, wo sich die antiken römischen Paläste der Handelsherren konzentrierten, die in den reichen Seehandelskorporationen der Vergangenheit zusammengeschlossen waren. Noch immer residierten auf diesem kleinen Hügel alle diejenigen, die den Handelsverkehr an der Tibermündung beherrschten.
Benedetto näherte sich einem der schönsten Gebäude. Er ging darum herum und gelangte zu einem überhängenden Garten, der durch Gitter versperrt war. Er kletterte über die Einfriedung und drang in das Privatgrundstück ein.
Er folgte einer von Blumenkübeln und Brunnen gesäumten Allee und erreichte einen zweiten, quadratischen Garten, in dem sich ein ehemaliger antiker Tempel erhob, der einst Ceres geweiht und nun in eine Kapelle umgewandelt worden war. Er durchquerte den Säulengang. Eine Treppe führte in ein Untergeschoss.
Am Fuß der Stufen entzündete Benedetto eine Kerze.
Er trat in eine Totengruft.
Die flackernde Kerze beleuchtete in den Fels eingelassene Gräber und Urnen. Benedetto wandelte zwischen den sterblichen Resten der Vorfahren der Familie Salutati umher, reicher Kaufleute, die noch immer den Palast von Mila bewohnten.
Obwohl er die Salutati seit zwei Jahren nicht mehr gesehen und auch nicht mit ihnen korrespondierte hatte, waren sie ihm noch immer eng verbunden.
Vor einem Sarkophag mit einer Inschrift auf rosafarbenem Marmor, die jünger war als die anderen, verharrte er schließlich.
Aurelia Gui.
Seine Frau.
Mit glitzernden Augen hielt er die Tränen zurück und sammelte sich, ohne zu beten, ohne Zwiesprache mit der Toten zu halten; wenigstens einmal war sein Geist vollkommen leer.
Benedetto sprach nie über seine Frau. Auch ertrug er es nicht, dass man in seiner Gegenwart die Erinnerung an sie aufleben ließ.
Nach ihrem grausamen Tod vor sechs Jahren war er zum Vagabunden geworden, hatte ohne Wohnsitz und Lebensziel gelebt, sich wahllos auf die Gesellschaft eines jeden Beliebigen eingelassen, sofern dieser nur bereit war, sich mit ihm zu betrinken.
Der junge Witwer war im Begriff gewesen, jämmerlich vor die Hunde zu gehen.
Die Salutati, Aurelias Eltern, hatten verzweifelt mitansehen müssen, wie er in Schwermut versank. Sie waren es, die ihn nach vier Jahren auf die Idee brachten, nach Rom zu ziehen, ein Geschäft zu eröffnen und die Leute von seinem logischen Talent und seinen Verstandesgaben profitieren zu lassen. Sie hatten ihm den Laden gekauft, seinen Umzug in die Wege geleitet und ihn angefleht, er möge wieder am Leben Geschmack finden.
Das hatte Benedetto auch getan.
Doch um den Preis der Erinnerung an Aurelia.
Er beschloss, dieses Kapitel seines Lebens auszulöschen sowie all denen aus dem Weg zu gehen, die als Akteure und Zeugen eine Rolle darin gespielt hatten. Einschließlich der Salutati. Sie waren einfühlsam genug, um darin kein Zeichen der Undankbarkeit zu sehen, sondern ein Mittel zum Überleben.
Er bewahrte aus dieser Zeit nichts als seine Trauerkleidung und den Schwur, niemals eine andere Frau als Aurelia zu lieben.
Oronte und Julia Salutati wären überrascht gewesen, wenn sie erfahren hätten, dass er in diesem Augenblick allein, mit einer Kerze in der Hand, in ihrer Gruft war und wie versteinert vor dem Namen seiner Frau stand.
Mit geschlossenen Augen strich Benedetto mit der rechten Handfläche über den eisigen Stein, unter dem sie ruhte. Er erkannte mit den Fingerspitzen den heiligen ägyptischen Skarabäus, der in eine Scheibe gemeißelt war.
»Nein, Benedetto Gui hat nicht auf alles eine Antwort …«
Das wichtigste Rätsel, mit dem er je konfrontiert gewesen war, hatte er nicht lösen können: Die Vergewaltigung und grausame Ermordung seiner jungen Ehefrau war bis auf den heutigen Tag unaufgeklärt geblieben.
Aurelia war nackt und mit abgetrenntem Kopf im Bibliothekssaal eines Klosters von Mantua aufgefunden worden. Es gab nicht die geringste Spur und keinen Zeugen; er wusste nicht einmal, aus welchem Grund Aurelia diesen Ort aufgesucht hatte!
Nach tausend Irrwegen hatte Benedetto schließlich aufgegeben. Daraufhin nahm er für Jahre das unstete Vagabundenleben auf, das am Ende seinen erstaunlichen Geist formte. Gerade sein Versagen bei der
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