Advocatus Diaboli
paar Gramm Quecksilber daraus extrahiert. Befriedigt deponierte Gui dieses in einer Schale und stellte sie auf das verschneite Fensterbrett.
Die nun folgende Prozedur dauerte nicht so lange. Er gab ein wenig von dem weißen Pulver aus seinem Säckchen, das Schwefel war, auf das Quecksilber, bis es sublimierte.
»Das wäre geschafft.«
Er ruhte sich zwei Stunden aus und vergewisserte sich, dass seine Gastgeber tief und fest schliefen, bevor er den Fensterladen vor seinem Fenster öffnete. Er beobachtete den Dorfplatz und lauschte auf das geringste Geräusch und die winzigste Bewegung.
Mit gedämpften Schritten verließ er sein Zimmer, schlich aus der Tür von Demetrios’ und Normas Behausung und trat hinaus auf die Straße.
Draußen war alles ruhig und eiskalt. Der Mond drang durch die Wolken, und einige Tiere strichen durch den Wald. Benedetto sah, wie ein Dachs vor ihm das Weite suchte, und hörte den Schrei eines Nachtvogels.
Er fürchtete nicht, die Dorfbewohner könnten ihn um diese Uhrzeit überraschen, denn er wusste, welche Scheu die Nacht den Menschen vom Land einflößte, besonders, wenn die Wälder so nahe an die Behausungen heranreichten.
Er marschierte zum Friedhof und gelangte schließlich an Evermachers Grabstätte. Er näherte sich der Statue der heiligen Monika. Nun holte er den Bohrer und den Drillbohrer hervor und begann
an jedem Unterlid der Heiligen einen Gang hineinzutreiben, wobei er den Steinstaub sorgsam einsammelte.
Nur der Mond spendete ihm Licht, und so musste Benedetto sich konzentrieren, als er den Drillbohrer in das Quecksilber tauchte und es portionsweise in die beiden Löcher tropfen ließ.
Daraufhin ergriff er den Zinnober, der aus der Sublimation von Quecksilber und Schwefel hervorgegangen war. Er war von einem leuchtenden Rot. Vermischt mit ein wenig Öl von Demetrios führte er ihn in kleinen Tupfern mit der Spitze des Bohrers ein, und am Ende verschloss er die Öffnungen mit dem Staub.
Er packte einen Stein und bearbeitete damit die Erde, um die Fußspuren einzuebnen, die er unter der Statue hinterlassen hatte.
Erschöpft kehrte er in sein Zimmer zurück.
Noch vor Tagesanbruch verließ er Demetrios’ Haus ein zweites Mal, versah sich mit einer der neben der Haustür hängenden Harzfackeln und begab sich zur Kapelle von Spalatro.
In dem engen, schmucklosen Bauwerk waren sechs Bankreihen vor dem Altar aufgestellt, der von zwei schwachen Öllampen eingerahmt wurde; in dem fahlen Licht sah Benedetto ein hölzernes Kruzifix und eine Ikone der Madonna mit dem Jesuskind.
An der Flamme der Öllampe entzündete er seine Fackel; das Harz knisterte, während die Kapelle von Licht überflutet wurde. Am Ende der Apsis entdeckte er eine glitzernde Monstranz.
Er kniete nieder und nahm eine Gebetshaltung ein.
Das kam ihm sonst nie in den Sinn.
Fauvel de Bazan hatte zu Recht seine mangelnde Begeisterung für die Messe gerügt. Benedetto Gui hatte seine Jugend in Gesellschaft einer Bande von Goliarden verbracht, vagabundierenden Studenten und Geistlichen, die als wandernde Musiker und Dichter große Ideen verkündeten und sich allerlei Ausschweifungen
hingaben. Der Umgang mit ihnen hatte in ihm ein gewisses Misstrauen gegenüber den Dogmen hinterlassen, und er kannte die Widersprüche in den heiligen Schriften zu gut, um die banalen Reden der Pfarrer zu ertragen. Er mied Gottesdienste, die er mit kannibalischen Riten verglich. Der Mann, zu dem er - vor allem seit dem Tod seiner Frau - geworden war, fand mehr Trost bei Cicero und Seneca als in der erdrückenden Schuldhaftigkeit der Kirchenväter.
An diesem Morgen aber bewirkten Einsamkeit, Stille und Erschöpfung, dass ihm ein Psalm aus Kindertagen wieder in den Sinn kam:
Würdest du, Herr, unsere Sünden beachten,
wer könnte bestehen?
Tief in seiner Seele spürte er, dass das Schweigen, das ihm heute antwortete, das gleiche war, das vor langer Zeit den Schäfern in Judäa unter der Herrschaft von König David geantwortet hatte …
Kurz darauf betrat der Diakon von Cardonna die Kapelle. Er war so alt wie Benedetto, groß und mager und trug eine geflickte Kutte unter einem alten Mantel. In den Händen hielt er eine kleine Kanne mit Öl, die zum Auffüllen der Trichter für die Altarlampen diente.
Beim Anblick des Fremden zuckte er zusammen.
Benedetto erhob sich.
Der Diakon protestierte hastig.
»Ich würde es mir nicht verzeihen, wenn ich Eure Zwiesprache mit dem Himmel stören würde, mein Sohn.«
Gui lächelte.
»Wir
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