Äon
den Wahrnehmungen des Klavikels durchströmen. Ihr war, als bekäme sie Auszüge aus den gebündelten Alternativuniversen vorgesetzt, die sie kostete und erlebte; freilich konnte sie sie nicht fassen. Sie konnte mit den Empfindungen lediglich das Klavikel führen. Es wurden keine detaillierten Informationen über andere Welten geliefert, sondern lediglich angezeigt, daß sie existierten und ob sie unter die erwünschte Kategorie fielen.
Die Partiellen brauchten keinen Schutz, sie selber allerdings schon. Also bereitete Olmy eine Traktionsblase mit Luft für sie vor. Lanier blieb an ihrer Seite. Wieviel von ihm ist hier? fragte sie sich. Wie ist das, wenn ein Partieller zerstört wird?
Nun widmete sie sich ganz dem Klavikel. Die vordere Luke ging auf, und Patricia betrat, in ihre flexible, leicht schimmernde Traktionsblase gehüllt, die Wegoberfläche. Lanier und Olmy, die sich völlig ungeschützt ins Vakuum begaben, gingen neben ihr her.
»Du hast etwa ‘ne halbe Stunde Zeit«, sagte Olmy, dessen Stimme der Monitor zu ihrem Halsring übertrug. »Danach erreicht die Strahlung von der Plasmafront eine gefährliche Intensität. Reicht dir die Zeit?«
»Ich glaub’ schon; ich hoff’s.« Patricia überprüfte ihre Tasche und fand alles an seinem Platz: Multimeter, Prozessor, Tafeln und Blöcke.
Sie hielt das Klavikel vor sich und suchte. Zehn Minuten lang schritt sie hin und her, auf und ab; das Klavikel übertrug das gewaltige Spektrum alternativer Welten, das sie mit jedem Schritt passierte. Sie verwarf die Wahrnehmungen aus den allermeisten davon und versuchte, ihre Sinne nicht zu überlasten.
In weiteren zehn Minuten hatte sie eine wenige Zentimeter lange Linie ausgemacht, die den Ort zu bergen schien, den sie suchte. Sie kniete nieder, wobei die Traktionsblase bequem nachgab. Das Klavikel tastete sich durch diesen winzigen Fleck, während ihre Hände diesen kausalen Kontakt lediglich vervollständigten.
In weiteren fünf Minuten hatte sie die Stelle auf wenige Millimeter eingegrenzt. Die Informationen aus den verschiedenen Universen wurden nun viel komplexer; Patricia war tatsächlich einer alternativen Erde auf der Spur, und die Zeit stimmte auch – plus oder minus ein paar Jahre.
»Beeil dich!« warnte Olmy. »Die Plasmafront ist nicht mehr weit.«
Es war sehr schwierig. Ihre Theorie erwies sich als nicht so präzise, wie sie gehofft hatte. In den allerkleinsten Abschnitten des geometrischen Haufens waren verschieden geartete Welten verkettet. Nun leuchtete ihr ein, warum Korzenowski und Kollegen die komplex strukturierten Gebiete der geometrischen Haufen als nutzlos betrachtet hatten.
Das Klavikel hielt inne. Patricia wußte nicht, ob sie die Gegend fein genug eingestellt hatte, aber andererseits könnte sie tagelang herumtasten, ohne dem Ziel näher zu kommen. Sie schloß die Augen und ruckte zum letzten Mal ein ganz klein bißchen.
»Ich bin so weit«, sagte sie.
»Dann los!« sagte Laniers Bild, dem Patricia daraufhin ein dankbares Lächeln zuwarf.
»Danke – für alles.«
Lanier nickte. »Es war mir ein Vergnügen. Es war faszinierend.«
»Find’ ich auch.«
Sie machte sich daran, das Tor zu eröffnen. Im Norden füllte ein rötlicher Lichtschein den Korridor. Rasch schlug das Spektrum um: Orange, scheußliches Grünblau.
Das schrille Pfeifen des Klavikels war geradezu schmerzhaft. Patricia sah einen Strudel von Möglichkeiten zu ihren Füßen und dann den Kreis, der keinen Meter breit war und in dem sich verzerrt ein blauer Himmel, braune Landmassen, große Gebilde und Wasser abzeichneten.
Sie hatte nicht den präzisen Ort. Sie würde auf Land ankommen, das spürte sie, aber wo auf der Erde, das war fraglich. Jedenfalls würde das Traktionsfeld sie sicher absetzen.
Laniers Bild beugte sich in die Traktionsblase und küßte sie zum Abschied. Seine Lippen waren weich und warm.
»Geh!« drängte Olmy.
Sie trat durchs Tor. Es war wie eine Rutschpartie über einen Hang hinunter. Alles drehte sich ringsum. Sie ließ das Klavikel los und packte es wieder mit beiden Händen. Da war das Rauschen von Wasser, etwas Großes und Spitzes und Weißes in der Nähe, die grelle Sonne…
Lanier und Olmy wandten sich der näherkommenden Strahlung zu.
Es ist nicht wie Sterben, dachte Lanier. Da ist ein anderes, vollständiges Ich, das dem entgeht. Aber er wird von dem hier nichts erfahren, da ich mich nie »zurückmelde«.
Ein gleißender Schein hüllte sie ein, der heller war als jedes Licht oder
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