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Äon

Äon

Titel: Äon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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gehen? Wie sich doch alles geändert hatte in den letzten fünfhundert Jahren!
    Kleopatra freute sich allerdings auf den nächsten Gast. Es waren ihr viele wunderliche Dinge über die Hauptpriesterin und Sophe des Hypateion in Rhodos zu Ohren gekommen; die Frau war nicht nur berühmt wegen der Geschichte, wie sie in die Oikoumene gelangt war, sondern auch wegen ihrer Leistungen im letzten halben Jahrhundert. Dennoch waren sich Königin und Priesterin nie begegnet.
    Die Sophe Patrikia war vor zwei Tagen von Rhodos eingeflogen worden, auf dem Rakhotis-Flughafen westlich von Alexandria gelandet und als Ehrengast im Mouseion untergebracht worden bis zur Audienz. In diesen zwei Tagen war die Sophe zur praktisch obligatorischen Besichtigung der Pyramiden von Alexandros und Diadokhoi mit den (wie langweilig, dachte Kleopatra) vergoldeten Mumien der Gründer der Alexandrischen Oikoumene eingeladen worden, woraufhin sie die umliegenden Pyramiden und Gräber der Nachfolger besuchte. Offenbar hatte die Sophe die Besichtigungstour wohlwollend aufgenommen; ein Teil ihrer Beobachtungen wurde zur Übertragung in die 85 Nomoi aufgezeichnet.
    Heralde meldeten, daß die Sophe auf dem Lokhias-Hügel angekommen sei und bald im Königspalast eintreffe. Die Berater räumten den Audienzsaal, und Kleopatra wurde umschwirrt von ihren Fliegen, wie sie sie nannte, den Dienern und Zofen, die den Schweiß von ihrer Stirn tupften und Wangen und Nase puderten und ihre Gewänder um den goldenen Thron drapierten. Draußen im Hof stand die Phalanx der königlichen Leibgarde. Wenn sie sich in zwei Reihen vor dem Portal aufstellten, dann nähme Königin Kleopatra Haltung an und empfinge die Sophe.
    Die Aufstellung begann, und die Heralde führten ihre ermüdenden Zeremonien aus.
    Das Datum war Söthis 4, alte Zählung, Arkhimedes 27, neue Zählung.
    Kleopatra saß geduldig auf dem Thron aus Zedernholz vom beschwerlichen Reich Ioudeia, auch genannt Nea Phoenikia, und trank funkelndes gallisches Wasser von einem Kelch aus Metascythia. So nutzte sie tagtäglich die Güter aus den Nomoi, Staaten und befreundeten Nationen ringsum, wußte sie doch, daß diese sich geschmeichelt fühlten, dem ältesten der alten Reiche, der Alexandrischen Oikoumene, zu dienen. Es wäre gut, wenn die Sophe sähe, daß Kleopatra ihren Pflichten nachkam, denn die junge Königin hatte darüber hinaus wenig zu tun. Der Boule und der Rat der Gewählten Sprecher fällten nach dem Vorbild Athens die wahrhaft wichtigen Entscheidungen.
    Die großen Bronzetore des Theotokopolos öffneten sich weit, und der Einzug begann. Kleopatra schenkte den hereinströmenden Höflingen und Kammerherrn und kleinen Politikern keine Beachtung. Ihr Blick fiel unverzüglich auf die Sophe Patrikia, die den Saal, von ihren beiden Söhnen mittleren Alters gestützt, betrat.
    Die Priesterin trug ein Gewand aus schwarzer Chin-Chi’ing-Seide von schlichter Schönheit mit einem Stern über der einen Brust und einem Mond über der andern. Ihr noch üppiges Haar war lang und dunkel; ihr Gesicht wirkte trotz der vierundsiebzig Jahre noch jugendlich. Ihre Augen waren dunkel und länglich und durchdringend; sie erweckten einen gefährlich dreisten Eindruck.
    »Willkommen«, sagte die Königin in Mißachtung des Protokolls. »Komm, setz dich zu mir! Wir haben viel zu bereden.«
    »O ja, meine liebliche Königin«, erwiderte die Sophe, löste sich aus den Armen ihrer Söhne und näherte sich dem Thron, wobei sie mit der Hand den Saum ihres langen Gewands hochraffte. Sie war recht rüstig; zweifellos behielt sie die Söhne nicht aus Eigennutz, sondern zu deren Vorteil im Tempel; in der Oikoumene war es derzeit nicht unbedingt einfach, eine Anstellung zu finden.
    Patrikia setzte sich auf den weichgepolsterten Stuhl, der eine Körperlänge unterhalb des Throns stand, und erhob den Blick aufgeregt zur Königin.
    »Wie ich höre, hast du einige deiner wunderbaren Instrumente mitgebracht, um sie mir vorzuführen und deren Zweck darzulegen.«
    »Wenn ich darf…?«
    »Aber bitte.«
    Patrikia machte eine Geste, woraufhin zwei Schüler des Hypateion eine breite, flache Holztruhe herantrugen. Kleopatra kannte das Holz: Ahorn von Nea Karkhedon jenseits des Atlantiks. Sie fragte sich, wie’s um deren Revolution bestellt sei; aus den blockierten Küstengebieten sickerten nur spärliche Nachrichten durch.
    Die Priesterin ließ die Truhe auf einem breiten runden Tisch aus gehämmertem Messing und getriebenem Silber abstellen.

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