Affaere im Paradies
immer gleich. Den Raum hätte man ein Jahrhundert zurückversetzen können. Er würde auch im nächsten Jahrhundert nicht anders aussehen.
Das Sonnenlicht schimmerte durch die hohen, mit königsblauen Portieren umrahmten Fenster. Es fiel auf Mahagonitische und malte helle, rote Flecken darauf. Es glänzte auf einer handgeschliffenen Kristallvase, die eine längst verstorbene Braut der Trulanes an ihrem Hochzeitstag geschenkt bekommen hatte. Liebevoll umspielte es eine Porzellantänzerin, die für alle Zeiten allein in einem wirbelnden Walzer gefangen war.
Matthew beobachtete Laurels langen stummen Rundblick durch den Raum. Die Empfindungen, die sich auf ihrem Gesicht widerspiegelten, ließen Enttäuschung in ihm hochkommen, Eifersucht und Verlangen. Wie konnte er sie dazu bringen, sich ihm zuzuwenden, wenn so vieles in ihrem Leben noch daran gebunden war, was einmal gewesen war, wer einmal Bedeutung besessen hatte?
»Weißt du, Erinnerungen sind nette, kleine Besitztümer, Laurel«, sagte er kühl, »solange du nicht die Gegenwart ignorierst.«
Er wollte sie verändern, weil er mit ihrem Ärger leicht fertig werden konnte. Stattdessen wandte sie sich mit weichem Blick und verblüffter Miene zu ihm um. »Hast du denn Erinnerungen, Matthew?« fragte sie leise. »Einige von diesen netten, kleinen Besitztümern?«
Er dachte an ein Dach, das leckte, und eiskalte Fußböden und einen Teller, auf dem nie genug zu essen war. Er erinnerte sich an eine Frau, die hustete, fortwährend hustete, nachts in ihrem Bett, die ihre angegriffenen Lungen damit nur noch mehr schwächte. Und er erinnerte sich an das Versprechen, das er sich gegeben hatte, herauszukommen und die Frau mit sich zu nehmen. Es war ihm nur möglich gewesen, den ersten Teil seines Versprechens zu erfüllen.
»Ich habe sie«, sagte er grimmig. »Ich ziehe das Heute vor.«
Hinter dem bitteren Ton hatte sie etwas anderes vernommen. Verwundbarkeit. Automatisch streckte sie die Hand nach ihm aus. »Matthew …«
Nicht auf diese Weise, sagte er sich. In gar keinem Fall wollte er sie durch ihr Mitleid für sich gewinnen. Er nahm ihre dargebotene Hand, hob sie aber an seine Lippen. »Das Leben ist ein lächerlicher Kreis, in dem wir gefangen sind, Laurellie. Ich habe immer geglaubt, dass Erinnerungen zu schaffen mehr für sich habe, als sich von ihnen zu befreien.«
Sie zog die Hand zurück. »Du lässt mich nicht an dich heran, nicht wahr?«
»Heute.« Er strich ihr mit den Fingern durch die Haare. »Lass uns auf das Heute konzentrieren.«
Unbeschreiblich verletzt wandte sie sich von ihm ab. »Es gibt kein Heute ohne das Gestern.«
»Verdammt, Laurel …«
»Laurel, es tut mir Leid, dass ich dich habe warten lassen.« Marion glitt in den Raum, wie nur eine Frau von Stand es vermochte. Sie war wie immer in ein flatterndes, pastellfarbenes Gewand gekleidet, das stets um sie herum zu wehen schien. Als Laurel ihre weichen, schmalen Hände ergriff, fragte sie sich, wie jemand so viel kühle Schönheit ausstrahlen konnte. Marion ging auf die vierzig zu, aber sie war noch immer von einer makellosen Erscheinung, der man ihren Adel ansah. Ihr Parfüm war ebenso weich wie ihre Hände, ihr Haar, ihre Augen.
»Marion, du siehst wundervoll aus.«
»Wie reizend.« Marion drückte Laurels Hände, ehe sie sie losließ. »Ich habe dich ja seit dieser Wohltätigkeitsveranstaltung vor zwei Monaten nicht mehr gesehen. Es war eigenartig, dich dort mit deinem Block und Kugelschreiber zu sehen. Bist du mit deinem Beruf zufrieden?«
»Ja, es ist genau das, was ich mir schon immer gewünscht habe. Das ist mein Kollege, Matthew Bates.«
»Nett, Sie kennen zu lernen, Mr. Bates.« Marion hielt seine Hand einen Augenblick länger, zögerte während sie ihn aufmerksam ansah. »Kennen wir uns?«
»Nicht formell, Miss Trulane. Ich war hier, als im letzten Monat Ihre Schwägerin gefunden wurde.«
»Ach so.« Ihre Augen trübten sich einen Moment lang schmerzvoll. »Ich fürchte, ich erinnere mich an vieles von diesem Tag nicht sehr genau. Bitte, nehmen Sie doch Platz. Binney wird ein paar Erfrischungen bringen. Louis wird gleich hier sein, er telefoniert noch. Ich bin sogar froh, einen Moment mit dir allein zu sein, ehe er hier ist.« Marion faltete die Hände im Schoß. »Laurel, du hast Louis seit sehr langer Zeit nicht mehr gesehen.«
»Seit zehn Jahren.«
»Ja, zehn Jahre.« Marion sah einen Augenblick lang aus dem Fenster und seufzte dann. »Hier verliert man das Gespür für
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