African Boogie
wollen.
Andreas Amendt hatte auch das T-Shirt von Gabriele Bronski nach oben geschoben: die gleiche, klaffende Wunde. Der Arzt betastete sie. Plötzlich sah Katharina, wie etwas Durchsichtig-Glibberiges aus der Wunde rann. Sie schrie auf: »Eine Qualle!«
Doch Amendt nahm den wabbeligen Gegenstand in die Hand und hob ihn hoch, um ihn ihr zu zeigen: »Ein Brustimplantat«, erklärte er.
Man starb immer zweimal, dachte Katharina. So hatte es ein Psychologie-Dozent auf der Polizeihochschule erklärt: Auf den physischen Tod folgte der menschliche, wenn all die Geheimnisse, die man stets für sich behalten hat, ans Tageslicht gezerrt wurden. Frau Bronski hatte weder eine besondere Oberweite gehabt, noch diese Region mit ihrer Kleidung betont. Und ihre Figur sah auch nicht danach aus, als hätte sie vorher zu kleine Brüste gehabt. Katharina konnte es sich schon denken, bevor Amendt es aussprach: »Auf der anderen Seite ist keins. Das war Wiederaufbau, keine Kosmetik. Sieht so aus, als hätte sie mal Brustkrebs gehabt.«
Katharina schauderte. Gabriele Bronski hatte den Krebs überlebt – nur um dann in dieser Höhle zu krepieren.
»Was ist das denn?« Behutsam griff Andreas Amendt in Brustkorb der toten Frau und zog etwas hervor: »Kein Herz mehr. Dafür das da.«
Katharina leuchtete auf den Gegenstand in seiner Hand: ein Blackberry. Amendt legte das Smartphone behutsam auf einer trockenen Stelle auf dem Boden ab. Er wiederholte den Griff in die Wunde bei Bronski und zog ein iPhone hervor. Dann leuchtete er mit einer kleineren Lampe aus seiner Tasche in das klaffende Loch im Brustkorb: »Das Herz fehlt. Ziemlich grob herausgeschnitten.«
Er richtete sich auf. »Mehr kann ich jetzt nicht sagen. Wir müssen sie nach oben bringen.«
»Noch nicht«, hielt ihn Katharina auf. »Ich will mich erst noch etwas umsehen.«
Systematisch leuchtete sie den Raum ab, den Boden, die Wände, die niedrige Decke. »Wo sind die Herzen?«, fragte sie laut.
»Vielleicht hat er sie mitgenommen?«, schlug Andreas Amendt vor.
»Oder er hat sie ins Wasser geworfen«, erwiderte Harry.
Katharina schüttelte nachdenklich den Kopf: »Glaube ich nicht. So ein wichtiges Symbol wird er nicht einfach wegwerfen. Dafür ist er viel zu theatralisch.«
Sie leuchtete wieder auf den Boden, auf die Blutlache um die beiden Körper. Dann sah sie es: Eine Spur führte von der Blutlache weg. Schuhabdrücke und Tropfen. Katharina folgte der Spur zu einer Nische und leuchtete hinein: ein Gang!
Sie wollte hineingehen, doch Augustin hielt sie zurück. »Der ist eingestürzt. Nicht sicher.«
»Ich bin schon vorsichtig.«
Der Gang war niedrig. Katharina konnte gerade noch aufrecht darin stehen. Sie folgte der Blutspur, bis sie auf einen Felsblock stieß, der aussah, als sei er von der Decke gestürzt. Doch die Blutspur führte direkt unter den Stein. Unter den Stein?
Sie betastete den Felsbrocken; er fühlte sich seltsam warm an. Sie klopfte dagegen. Es klang hohl.
»Kommt und schaut mal!«, rief sie den anderen zu.
»Der Felsen ist eine Tarnung«, erklärte Katharina, als sich die anderen mit eingezogenen Köpfen hinter ihr versammelt hatten. »Der ist nicht echt.«
Sie gab Harry ihre Taschenlampe und begann, am Felsen zu zerren und zu schieben. Erst als sie einen Vorsprung packte und daran zog, klappte der Fels zur Seite wie eine Tür und gab den Blick auf einen schmalen Gang frei.
Katharina wollte sich am Felsen vorbei hineinschlängeln, als Harry sie zurückhielt. »Katharina! Du weißt doch gar nicht, was dich da erwartet.«
Harry hatte recht. Katharina nahm die Pistole aus ihrer Handtasche. Mit der Waffe im Anschlag schlich sie vorsichtig in den Gang.
Nach einer Biegung mündete er in einen größeren Raum. Katharina leuchtete ihn ab. Rechteckig. Kahle Wände. Kein zweiter Ausgang. Und keine Menschenseele zu sehen. Sie trat hinein und rief den anderen zu, sie könnten folgen.
Von der Decke hing eine elektrische Sturmlampe. Katharina schaltete sie ein. Sie blinzelte, bis sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten.
Ein Feldbett mit ordentlich aufgerolltem Schlafsack, an einer Wand ein Regal voller Mineralwasserflaschen und Konservendosen. Auf einem Tisch lagen Pläne: ein Lageplan der Insel. Technische Zeichnungen der Brücke. Eine Karte der Schmugglerhöhlen, von Hand gefertigt, aber äußerst detailgenau.
Auf einer Werkbank waren diverse Gegenstände sorgfältig angeordnet: leere Medikamenten-Ampullen, Spritzen in verschiedenen
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