Afrika Saga 02 - Feuerwind
um ohne Hilfe aufzustehen. Nicholas Willington half ihr mit einem kräftigen Griff unter den Ellbogen hoch. Sie nickte ihm ihren Dank zu - sprechen konnte sie nicht - und schleppte sich zu ihrem Zelt. Am Rande ihres Blickfelds bemerkte sie durch die zurückgeschlagene Plane von Stefans Zelt den dunklen Kopf Benita Willingtons, die neben ihm auf einem Hocker saß, beobachtete, wie sie seine Hand ergriff und an die Lippen führte. Stefan drückte sich im Kissen hoch und zog sie zu sich herunter. Catherine konnte sich nicht rühren, musste den Kuss mit ansehen, wünschte, dass sie der Schlag treffen oder ein Blitz vom Himmel niederfahren und sie vernichten würde. Aber nichts dergleichen geschah, nur ihr Herz verbrannte in ihrer Brust und hinterließ ein schwarzes, tonnenschweres Loch.
Fast war es ihr gelungen, zu vergessen, wer wirklich der Vater von Stefan war. Sie hatte ihr schmutziges Geheimnis in die dunkelste Ecke ihrer Seele eingeschlossen und den Schlüssel weggeworfen. Da rottete es vor sich hin, hinter einem Haufen von Erinnerungen, die sie über die Jahre sorgfältig davor aufgetürmt hatte. Erst lag es dicht unter der Oberfläche, kam ständig hoch, dann nur ein- oder zweimal am Tag, später vielleicht einmal in der Woche, und dann waren oft Monate vergangen, ohne dass sie daran denken musste. Zuletzt waren es die Begegnung mit Nicholas Willington und Milas dahingeworfene Bemerkung gewesen, wie sehr Stefan Nicholas ähnelte, die sie bis ins Mark erschüttert hatte.
Und nun hatte das Schicksal, diese schreckliche Hyäne, ihr Geheimnis unter dem Erinnerungsgeröll hervorgezerrt. Da lag es, bösartig, stinkend, und kläffte sie an. Das Geheimnis war kein Geheimnis mehr. Stefan und Nicholas waren Konstantin von Bernitts Söhne und Benita seine Tochter. Sie waren Geschwister, Halbgeschwister zwar, aber das änderte nichts. Stefan liebte seine Schwester, und das würde sie ihm sagen müssen. Ihm und Johann.
Danach würde sie gehen. Wohin, das war ihr egal. Irgendwohin. Ins Wasser, in die Berge. Es war ihr gleich. Konstantin von Bernitt hatte seine Drohung wahr gemacht, er hatte ihr Leben zerstört, ihrs, Stefans, Johanns und nun auch das von Benita.
Jetzt musste sie die Muskeln ihrer Beine anspannen, sich vom Feldbett hochdrücken und die dreißig Schritte hinüber zu Stefans Zelt gehen. Dreißig Schritte. Sie fragte sich, wie sie die schaffen sollte. In der Spanne eines Lidschlags lebte sie ihr Leben noch einmal, rückwärts, bis zu dem Tag, als sie glaubte, Konstantin von Bernitt endgültig los zu sein. Für immer. Sechs Fuß unter der Erde. Nun war er wieder auferstanden. Vielleicht, so fuhr es ihr durch den Kopf, hätte sie ihn pfählen sollen wie einen Vampir.
Verzweifelt knetete, kniff und kratzte sie ihre Haut, um wieder eine Verbindung zu ihrem Körper zu bekommen. Sie zog sich am Mast hoch, der das Zeltdach hielt, und wagte einen Schritt. Gleich darauf lag sie auf Händen und Knien auf dem struppigen, trockenen Gras, das den Boden bedeckte.
Hölle und Verdammnis, heulte sie innerlich, reiß dich zusammen, du Memme. Du wirst doch einen Fuß vor den anderen setzten können, jedes Kleinkind kann das. Komm, hoch mit dir! Dein Sohn wartet.
Kann nicht.
Du musst.
Will nicht.
Halt den Mund, tu es.
Und sie tat es.
Sie setzte mechanisch einen Fuß vor den anderen, rund dreißigmal, Stunden schien es ihr zu dauern, ehe sie vor seinem Bett stand. Sie ging vor ihm auf die Knie, hielt den Kopf gesenkt. Dann sagte sie es.
»Benita ist deine Schwester, Nicholas ist dein Bruder. Du darfst sie nie wieder sehen.«
Er sah sie verständnislos an, begriff offenbar den Sinn ihrer Worte nicht.
»Es tut mir Leid«, flüsterte sie.
Stille breitete sich im Raum aus, schwarze, kalte Stille, die alles Lebendige erstickte, während sie zusehen musste, wie Stefan allmählich verstand, wie jeglicher Ausdruck aus seinem Gesicht sickerte, bis nur seine Augen im Dämmerlicht wie feurige Kohlenstückchen leuchteten. Sie hätte sich gern der Länge nach in den Staub geworfen, hätte glühende Asche über ihr Haupt gehäuft, sich gegeißelt, alles, nur um seinem Blick nicht begegnen zu müssen. Aber das erlaubte sie sich nicht. Sie hob ihr Gesicht zu ihm, zwang sich, ihn anzusehen. Schweiß lief ihr den Rücken hinunter, in ihren Ausschnitt, über ihren Bauch. Sie konnte sich riechen, und sie hatte sich noch nie derartig vor etwas geekelt wie vor dem Geruch ihrer eigenen Angst.
Um Vergebung heischend streckte sie die Hand
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