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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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deutlich schlimmer. Leo zitterte beim Gehen, sein ganzer Körper bebte vor Kälte, obwohl sie rasch liefen. Fahad legte mit seinen langen, flinken Beinen ein so beachtliches Tempo vor, dass sie zwischendurch immer wieder im Laufschritt aufholen mussten. Leo und Nara trugen abwechselnd das Wundermädchen, das Zabi hieß. Sie stand unter Schock, die Ereignisse hatten sie so durcheinandergebracht, dass sie sich weder beklagte noch Fragen stellte. Wenn Fahad außer Hörweite war, versuchte Nara, mit Leo zu reden, aber er war dazu nicht in der Lage. Bis zur Dämmerung hatte sich sein Zustand dramatisch verschlechtert. Sein ganzer Körper schlotterte bei jedem Schritt, und es erforderte all seine Konzentration, dem Pfad zu folgen und einen Fuß vor den anderen zu setzen. Seine Haut fühlte sich kalt und feucht an, und ihm tropfte Schweiß von der Stirn. Die ersten Luftangriffe erfolgten bei Einbruch der Dunkelheit, ein brennend grelles Leuchten, ein chemischer Sonnenaufgang. Sie blieben kurz stehen und sahen sich nach dem Feuer um, das über die Hänge fegte, nach den Lichtblitzen, nach den zerstörten Häusern und den Feldern, die zu Asche verbrannten, nach den Dörfern, die gepackt und in die Luft geschleudert wurden. Als die Einschläge näher kamen, befahl Fahad ihnen zu rennen. Im Schutz der Dunkelheit flohen sie weiter durch die Nacht. Sie konnten die Bomben hören, spüren und riechen, und eine explodierte so nah, dass sich Rauch auf den ganzen Weg legte. Kampfjets rasten durch den Nachthimmel, beschossen die Wege, über die sie gerade erst gegangen waren, und ließen den Boden zittern, als würde dieser Krieg der Erde und den Felsen Afghanistans gelten.
    Leo bettelte um eine Pause, an einem Fluss blieb er stehen und tat so, als würde er einen Schluck trinken. Er holte sein Briefchen Opium heraus und versuchte, es anzubrennen, obwohl seine Pfeife zerbrochen war. Aber Fahad nahm ihm die Droge weg, zerdrückte sie in der Hand und schleuderte die Reste in den Fluss. Wie ein Wahnsinniger warf Leo sich hinterher, fuhr blind mit den Händen über die Wasseroberfläche, um ein paar Krümel zu fangen, und schrie jämmerlich.
    Schluchzend wie ein Kind drehte er sich im hüfttiefen Wasser um und sah, wie ihn Fahad, Nara und Zabi, das kleine Mädchen, anstarrten. Es ging ihm zu schlecht, um sich zu schämen. Fahad, der das Mädchen trug, ging wortlos weiter. Nara folgte ihm nach ein paar Sekunden und ließ Leo allein. Zum Glück, denn Leo verlor die Kontrolle über seine Körperfunktionen. Er hockte sich in den Fluss und musste sich übergeben, während er gleichzeitig Durchfall bekam. Als er endlich aus dem Fluss watete, taumelte er den anderen wie eine bucklige Gestalt hinterher, er konnte sich nicht aufrichten, torkelte eher, als dass er ging, und war bei jedem Schritt sicher, er würde hinfallen und nicht mehr aufstehen können.
    Als sie eine Pause einlegen durften, war Leo wie weggetreten, er nahm seine Umgebung nicht richtig wahr und hatte keine Ahnung, wo sie waren oder in welche Richtung sie gingen. In einem Dorf fanden sie Unterschlupf. Aber Leo konnte nicht schlafen, er übergab sich immer wieder, bis sein Magen leer war, dann hustete er Galle und saure Spucke aus, bevor er sich auf einer Jutematte in Embryonalstellung zusammenrollte. Bei Morgengrauen trieb Fahad sie nach einem Frühstück aus Fladenbrot und Tee weiter. Leo hatte nichts essen wollen und nur kleine Schlucke von dem süßen Tee getrunken, weil er nichts anderes bei sich behalten konnte.
    Der zweite Tag unterwegs wurde noch schlimmer als der erste. Leo war nicht nur übel, er fühlte sich schwach und erschöpft. Fahad hielt nicht an und wurde auch nicht langsamer, er verlangte immer wieder, dass sie schneller gingen. Wieder setzten Luftangriffe ein, aber die Gruppe war immer einen Berghang weiter als die sowjetischen Bomber. Während Leo weiterstolperte, sah er in Gedanken nur das Opium, das auf dem Fluss trieb. Als er einen steilen Bergpfad hinaufgehen sollte, war er kurz davor zusammenzubrechen. Er freute sich nicht einmal, als Fahad sagte, sie seien angekommen. Seine Beine knickten einfach weg, und er fiel im Höhleneingang zu Boden.
    *
    Als Leo sich fiebernd auf dem kalten Steinboden zusammenkrümmte, drang irgendwann zu ihm durch, dass eine Hand auf seiner Schulter lag. Er rollte sich herum. Jemand hatte ihm eine Stahltasse mit süßem schwarzem Tee gebracht, und als er die Tasse umklammerte und die Wärme zwischen den Händen spürte, erkannte er

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