Agenten - Roman
gekriegt und blindlings über die Tränen gebügelt. Aber nie ein Protest, das macht sie nur schärfer. Sie wollen dich an der offenen Flanke erwischen, denn sie neiden dir alles, den letzten, erbärmlichsten Putz. Wenn du noch jung bist, verlangen sie das Gemeinste von dir. So ein Mädchen ist Freiwild, das treiben sie mit ihren Hundeaugen. Ich hatte eine Freundin im Laden, die ertrug die Hatz nicht, die bekam dann Anomalien, doppeltes Sehen, kleine, verdrehte Pupillen. Nicht einmal einen Zuschuß haben sie zur Behandlung bezahlt. Ich aber hab nur gelacht und immer einen guten Morgen gewünscht, als litte ich unter angeborenem Frohsinn. Die Chefin auflaufen lassen, sie ausnüchtern, dachte ich nur. Nach der Prüfung hab ich mir bestätigen lassen, ich sei der umgängliche Sonnenschein,
das ist die zentrale Formel in jedem besseren Zeugnis. Mit solchen Noten stellt man dich überall ein, und offene Türen fand ich okay. Ich hab dann eine Weile gejobbt und weiter miese Komplimente gesammelt. Die Trinkgelder waren in Ordnung, und schließlich war ich soweit, mich fragen zu können, was willst du. Für Mode hatte ich einen Tick, Modelle anschauen und wissen, wie man’s noch besser macht. Selbst hab ich solche Kledagen niemals getragen, ich lief nur in Schwarz, da ist die Mischung total subtraktiv, wenn du verstehst, was ich meine. Meine Alten habe ich draußen gelassen, um keinen Pfennig gebettelt, ich wußte, was an deren Geld dranklebt. Ich habe mich schwindlig und dösig gerechnet, kalkuliert und selbst noch auf Zinsen gesetzt, bis ich soweit war, studieren zu können. Gib dir ne Chance, das war das einzig Konkrete, exakt zwei Jahre für ein kleines Talent…«
Ich erinnerte mich an unser erstes, vertanes Gespräch, und ich vermutete, daß sie jetzt auch daran dachte. Ich hatte ein kneifendes Würgen im Hals, ihre Geschichte war schlimm, und das offene Ende konnte nicht damit versöhnen. Ich hatte mich damals völlig danebenbenommen, wie ein kindlicher Depp , der nicht einmal ahnte, was er genußvoll zerstörte.
Ich wollte etwas sagen, doch ich hatte nur naheliegende, offensichtlich zu Reparaturen dienende Worte im Kopf, die am Ende nur noch größeren Schaden anrichten würden. Doris schien meine Not zu bemerken, denn sie stand auf und zog mich am Arm: »Laß nur, jetzt denken wir beide dasselbe, deshalb brauchst du mir nichts zu erklären.«
Wir stiegen über eine Pforte neben dem Kurhaus und erreichten die Kolonnaden des Theaters. Die Türen des Großen Hauses standen weit geöffnet, um die verbrauchte Luft abziehen zu
lassen. Daneben befand sich ein Feinkostladen, ein kapriziös verträumtes Geschäft, mit zwei winzigen Tischen, an denen wir uns ältere Damen beim Sherry vorstellten. Die Waren in den Regalen waren großzügig gelagert, so daß man sie gerne studierte. In einer kleinen, fast ausgeräumten Vitrine lagen lauter langlebige Wurst-und Käsesorten, wie übriggeblieben nach einem Fest. »Nehmen wir einen night cap ?« fragte Doris.
»Ich bin dir noch mehrere schuldig«, antwortete ich. »Im i-Punkt ?«
»Ich war noch nie drin, wir wolln es versuchen.«
Das Lokal war überfüllt, direkt neben dem Eingang stand ein Flügel mitten im Weg. Die meisten Gäste drängten sich um die Theke, und seitwärts führte eine schmale Treppe hinauf zu einer Galerie, wo die Ermüdeten das Treiben beobachteten. Einige trugen Konzert- und Theaterkleidung, die üblichen, zu hoch gegriffenen Garderoben. Neben uns sprach ein junger Klavierenthusiast auf seine hinreißende Freundin ein, doch sie stellte sich fremd und verfolgte mit langen Blicken lieber das Geschehen.
»Was willst du trinken?« fragte ich Doris.
»Einen Take two !«
»Was steckt denn dahinter?«
»Gin, Campari, Orangenlikör, gut durcheist! Laß mal, ich mach schon!«
Sie arbeitete sich an die Theke vor, und ich hörte zu, wie der junge Entrückte den Aufbau einer Sonate erklärte. Es war ein ausführlicher Vortrag, mit bemerkenswerten Details, und er klang sehr fundiert. Seine Freundin quittierte ihn nur mit ach ja ?, und ich nahm mir vor, sie gewissenhaft zu übersehen.
Doris kam mit zwei Gläsern zurück, die mich an betaute Blütenkelche im Morgengrauen erinnerten. Wir stießen an,
plötzlich waren die dunklen Launen verflogen, und ich kam mir zufrieden vor, wie nach einer bestandenen Bergpartie.
»Bist du hier Stammgast?« fragte ich übermütig.
»I wo, ich hab früher fürs Fernsehen gearbeitet, und da kommt man hier nicht
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