Agenten - Roman
Weite, und ich erzählte ihr während des Anstiegs, wie ich auf Blok getroffen und ihm später gefolgt war. Während des Erzählens fiel mir das stille Land wieder ein, schon der weiche Waldboden löste Erinnerungen aus, und plötzlich sah ich uns ehemalige Schüler alle versprengt, jeder in ein andres Leben entlaufen, nie mehr rückkehrbedürftig. Es war wie ein heißer, heftiger Schuß ins Innere hinein, gemischt aus treibender Angst und ebenso
kräftiger Lust. Ich behielt sie für mich, diese aufschäumende Bewegung, die mir etwas von Zukunft verriet. Sie regte an, wie eine unverhoffte Freude, die einen packt und beinahe stolz werden läßt. Dieser Stolz aber gründete in einer Ahnung von Glück, in der Vorstellung, einmal könne alles sich runden, ohne Gewalt, wie ein Segen. Solches Wissen war nur ein Verdacht, aber wirkungsvoll, rein, nicht auf Umstände angewiesen. Man hob ab wie ein Pfeil, für einen Augenblick größenwahnsinnig gewiß, den Horizont zu überwinden. Dann meldete sich schon die Vorsicht, und ich begann langsam, mich wieder zu hüten.
Wir standen jetzt oben, auf der Höhe des Nerobergs , von der Stadt abgestoßen, die wie ein funkelndes, aufgefächertes Blatt unter uns lag. Auf den flirrenden Straßenschneisen bewegte sich noch viel Verkehr, aber man fühlte sich entkommen, denn nach der Walddunkelheit erschienen diese Bewegungen überflüssig und phantastisch. Ganz in der Ferne war der Rhein noch zu ahnen, auch die ersten Spuren von Mainz, schwach angedeutete Umrisse, die ins Grenzenlose abfielen. Die Luft war jetzt besser, sommerlich, aber ohne drückende Schwüle. Ich sah gern auf dieses gelockerte Bild, es erweckte ein Gefühl von nachlassender Spannung, von müder werdendem Kehraus, der nichts Trostloses hatte.
»Gehn wir noch schwimmen?« fragte ich Doris. »Schwimmen?!«
»Im Opelbad, gleich nebenan, wir steigen über den Zaun.«
»Nicht schlecht, gar nicht schlecht. Zwei Bahnen Kraul, zwei Butterfly, gerade zur Abkühlung.«
Wir bewegten uns langsam an einem dunklen, hohen Bretterzaun entlang, der das von der Stadt her angleißende Licht
abhielt. Sofort gingen wir geduckter, als wäre es nötig, sich versteckt zu halten. Der Boden war uneben, durchschossen von allerhand Kuhlen. In der Nähe des Eingangs konnte man leicht einsteigen, und ich half Doris hinüber.
Es war ein guter Gedanke gewesen, denn die schmalen Rasenflächen des Bades erschienen uns wie ein Ziel, als wir Schuhe und Strümpfe ausgezogen hatten. Der Körper wollte ganz an die Luft, sich dehnen, ohne behindert zu sein. Ich streifte die Sachen ab und lief hinunter zum Becken. Ein hellblauer Schimmer stieg vom Boden her auf, und ich dachte an glatte, leicht rissige Plastik. Das Becken war nicht sehr breit, eher ein altmodischer Pool , mit einer Rutsche für Kinder und kleinen, verloren wirkenden Brausen am Rand. Ich sprang, ohne zu zögern, ins Wasser, und die Kälte tat einen leichten, wohltuenden Schlag. Ich blieb weiter unten und schwamm, die Luft ausstoßend, mit ruhigen, mich ins Gleiten bringenden Stößen voran. Dann die Augen geöffnet, und in naher Tiefe schon das mit weißen, feinen Linien durchwebte Blau.
Nicht zuviel bewegen, nur ein Schlängeln im Monden. Die Arme vorangestoßen, geöffnet, zurück dann zur Mitte. Krächzendes Gurgeln beim kurzen Auftauchen, deine Stöße teilen das Wasser in zwei einander anfallende Hälften. Wieder hinab, diesmal noch länger unten, den Boden mit den Fingerspitzen berührt, eine leicht rieselnde Fläche, schmierig gequollen. Luftblasen sausen ums Ohr, jetzt den Kopf ins Genick, um freier zu hören. Sie ist nach dir gesprungen, du hörst sie weit hinterdrein. Anschlagen und kehrt. Unten bleiben und mit offenen Augen ihre Richtung erspähen. Deine Haare fliegen nach hinten, ein Strömungsbrausen am Kopf, das Wasser schießt an dir vorbei und behält doch seinen Druck. Kein
Gefühl mehr für Luft, es müßte da draußen zu regnen beginnen. Sie passiert dich ganz ruhig, sie schwimmt auf dem Rücken, wie eine, die sich entspannt. Du bleibst solange unten, bis deine ersten Kräfte verbraucht sind. Ihr gleichmäßiger Schlag, wie ein Eintauchen von Rudern. Dann nichts mehr von ihr. Schöner Abend, späte Stund, küss mir Kindchen meinen Mund. Unter Wasser zu küssen muß hexenhaft sein. Dein Atem geht knapper, halte noch ein wenig diese passable Balance. Anschlagen, kehrt. Früher hast du den Salto zur Wende gekonnt, eine gute Bewegung, um im Fluß zu bleiben. Halt die
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