Agnes Bernauer - Hexe Hure Herzogin
weggefegt aus der Realität. Noch einmal durchlebte sie jetzt die beklemmenden Stunden nach der Rückkehr Albrechts aus Straubing im vergangenen Sommer; es war, als ob die gegenwärtige Verzweiflung sich verbinden und verstricken wollte mit der anderen damals, als ob etwas über ihr zusammenzuschlagen versuchte, um sie endgültig in der Rettungslosigkeit zu ersäufen. Die Gebärende trieb davon in diesem Strudel; instinktiv, weil sie in diesem Augenblick das Leben vermeintlich nicht mehr ertragen konnte, suchte sie mental den allerfinstersten Abgrund und den alles auslöschenden schwarzen Quell. Immer näher ans absolute Nichts sank sie heran, an das Namenlose, das dennoch durchrunt war von den Namen „Jakobäa“ und „Kindbett“. Schon glaubte sie, den pfuhligen Grund greifen zu können – nein, ihn greifen zu müssen! Doch aus dem Zwang, der ihr jetzt plötzlich unendlich widerwärtig vorkam, entstand auf einmal etwas anderes; etwas begann sich zu ranken, nach oben und ins Vorwärts wieder; etwas Pflanzliches und ganz erstaunlich Weiches trug sie ein Stück zurück, wurzelte sie windflüchtig wieder ein in Vohburg. Die zitternde Zeit verfestigte sich irgendwo zwischen dem Heimkutschieren an die Donau und der allerersten Wehe; anfangs vermochte sie den Tag noch nicht zu greifen, wie neblig verschliert schien er ihr noch zu sein, aber dann tauchte aus dem milchigen Schleiern ein Antlitz auf. Agnes erkannte das Gesicht des Sedlec, und nun war jäh auch die ganze Szene wieder gegenwärtig: Wie der Hofmeister auf den Platz vor dem Grafenschloss gesprengt war, wie er hastig die Treppe gewonnen hatte, wie er atemlos vor der Hochschwangeren und Albrecht gestanden hatte – und wie sie beide die Botschaft von ihm vernommen hatten.
„Der regierende Herzog in München tobt, aber die Holländerin kann euch nicht mehr gefährlich werden!“, hatte der Böhmische gejauchzt und im Jauchzen gebrüllt fast. „Einen dicken Strich hat sie dem Ernst durch die Rechnung gemacht, hat euch damit gerettet!“ Und dann hatte der Jan, der Gute, davon berichtet, wie das Teufelsweib, die Jakobäa, sich Ende August heimlich mit einem einfachen niederländischen Ritter verlobt hatte; Frank von Borselen laute sein Name, in einer verschwiegenen Kapelle irgendwo am Niederrhein hätten sie die Ringe getauscht. Keiner außer einem Mönch habe vorher davon gewusst, und deswegen habe auch niemand sie von ihrer Tat abhalten können. Erst nachher habe sich die Kunde wie ein Lauffeuer verbreitet, doch nun sei selbstverständlich nichts mehr rückgängig zu machen. Der Segen der Kirche sei gültig, selbst wenn er bloß von einem Kuttenbrunzer 52 gespendet worden sei!
Zuerst hatten sie wie erstarrt dagestanden, sie, die Bernauerin, und der junge Herzog. Eine ganze Weile hatte es gedauert, bis sie die Tragweite der Nachricht wirklich und unverbrüchlich begriffen hatten, dann aber waren sie dem Boten beide gleichzeitig um den Hals gefallen. Der Kelch der holländischen Hochzeit war vorübergegangen an ihnen; sie lebten wieder, sie konnten wieder ohne Angst in die Zukunft blicken! Ihre Liebe hatte sich behaupten können gegenüber den dynastischen Intrigen des Glotzäugigen; des Raffgierigen selbst auf Kosten des eigenen Fleisches und Blutes! Und Albrecht hatte ihren, Agnes’, Leib berührt, so zärtlich, und hatte gesagt: „Nun kannst du es ganz unbesorgt zur Welt bringen, mein Herz, freu dich auf den Tag! Und später, wenn du das Kindbett hinter dir hast, werden wir ein Fest geben, wie Vohburg es noch nie erlebt hat …“
Es erleben … leben, trotz allem … Leben schenken! Auf einer inwendigen Brücke zitterten die Wortfetzen, das EINE WORT, jetzt auf einmal wieder aus der Vergangenheit heran. Agnes Bernauer glaubte sie aus seinem Mund zu vernehmen, durch ihr eigenes haltloses, aber plötzlich nicht mehr verzweifeltes Schreien hindurch, und dann flachten die schmerzgequälten Laute ab, die anderen jedoch blieben bestehen – und wie von ihnen getragen, drang gleich darauf ins Nachkeuchen der Wöchnerin hinein das erste dünne Wimmern des Neugeborenen.
Immer noch war der Blonden die nachwummernde Ohnmacht nahe, als sie aber das Körperchen in ihren Armen spürte, kehrten mit ihm Kraft und Wärme in ihren Leib zurück. Sie sah das winzige, verschrumpelte Antlitz des Säuglings und sie sah Albrechts Da-Sein und ihr Da-Sein darin; sie war glücklich, sie wollte noch nicht einmal wissen, welches Geschlecht das Kind hatte.
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„Ein Mädchen! Du
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