Agrippina - Kaiserin von Rom
der Bautechnik römischer Lager bestens vertraut war, erkannte, dass es sich um eine der beiden ehemaligen Hauptlagerstraßen handeln musste, die jetzt als Cardo Maximus die Hauptverbindungsstraße zwischen den Seitentoren der Stadt bildete. Schachbrettartig angelegt stießen in regelmäßigen Abständen kleinere Seitenstraßen rechtwinklig auf die Hauptstraße.
Wo die Häuser mit Laubengängen und Kolonnaden geschmückt waren, wurde die Straße etwas enger. Auf den Straßen und in den Gängen herrschte auch jetzt noch reges Treiben. Händler verkauften ihre restlichen Waren, elegante Müßiggänger in feiner Toga schlenderten mit ihren schmuckbehangenen Damen durch die Gänge, Frauen trugen hastig ihre letzten Einkäufe nach Hause, dazwischen spielende Kinder, kläffende Hunde, Kutschen, die in die Stadt drängten, und vornehme Männer, meist Römer, die sich in ihren Sänften zu einem Gastmahl tragen ließen.
Valerius passierte die große Tempelanlage und gelangte zu dem Forum, das mit einer halbrunden Säulenhalle aus weißem Marmor geschmückt war. In der Mitte des Platzes stand eine lebensgroße Statue des lorbeergekränzten Claudius. Graue Steinbänke luden den Spaziergänger zum Verweilen ein. Insgesamt wirkte alles bei weitem kleiner als in Rom und den meisten anderen Städten, die er gesehen hatte, war aber voll provinziellen Charmes und überraschend sauber. Ein kühler Wind wehte über den Platz, es begann bereits zu dunkeln, und so stellte sich die Frage nach einer Unterkunft für die Nacht. Da er seine offizielle Mission erst morgen antreten wollte, verzichtete er vorerst auf einen Besuch im Prätorium und eine Unterbringung auf Staatskosten.
»Heda, mein Freund, kannst du mir eine bequeme, saubere Herberge in der Nähe nennen?«
Der Angesprochene, ein junger Mann in einer römischen Tunika mit Wollumhang, blickte den Tribun erstaunt an.
»Du bist fremd hier?«
»Ja«, lachte Valerius, »woran siehst du das?«
»Ein Einheimischer würde wohl kaum nach einer Herberge fragen. Außerdem gibt es in der ganzen Stadt niemanden, der die Uniform eines Prätorianertribuns trägt!«
In der Tat hatte Valerius unbewusst seinen Mantel so weit zurückgeschlagen, dass seine Uniform sichtbar wurde.
»Du erkennst die Uniform eines Prätorianertribuns?«
Valerius war überrascht und verlegen zugleich, solche Detailkenntnisse hatte er in der Provinz nicht erwartet.
»Warum nicht«, lachte der junge Mann, »mein Vater ist der Aedil , und wir haben nicht immer in diesem Nest gelebt. In Rom sind Männer wie du bei uns ein- und ausgegangen. Ich heiße übrigens Quintus Statilius Taurus.«
Der Jüngling nannte seinen Namen mit sichtlichem Stolz und wartete jetzt offenbar auf die Wirkung, die er hervorrufen würde. Valerius kannte diesen Namen.
»Dann war dein Vater vor zehn Jahren Consul , nicht wahr?«
»So ist es. Zusammen mit Caius Passienus Crispus, dem Krauskopf. Ich mache dir einen Vorschlag, Tribun: Komm mit mir und sei unser Gast für diese Nacht. Mein Vater wird sich freuen.«
Valerius sah sich in der Klemme. Das war genau das, was er vermeiden wollte. Den Aedil würde er morgen schon früh genug kennen lernen, und da dieser Mann für die innere Sicherheit der Stadt verantwortlich war, musste er ihm mit seinem angeblichen Polizeiauftrag zwangsläufig in die Quere kommen. Aber wie konnte er dieses höfliche Angebot ablehnen, ohne den Aedil schon jetzt vor den Kopf zu stoßen?
Der Zufall kam ihm zur Hilfe.
»Quintus! Quiiiiiiintus! Wie lange willst du mich hier noch stehen lassen?«
»Bei den Göttern, das ist meine Freundin Tullia. Wenn sie warten muss, wird sie unausstehlich. Verzeih, Tribun. Ich muss weiter.Aber das Angebot steht. Wenn du magst, such unser Haus auf und erkläre meinem Vater, dass du mich getroffen hast. Du gehst den Cardo entlang bis zur letzten Straße vor der Porta Prätoria , dem Nordtor. Dann biege rechts ein. Du erkennst unser Haus an dem blauen Anstrich und den weißen Säulen. Vale.«
»Quiiiiiiiiintus!«
Ein weiterer markerschütternder Schrei mahnte zu höchster Eile, und der junge Mann lief winkend über den Platz, der sich inzwischen merklich geleert hatte. Valerius beschloss, einen weiteren Spaziergänger nach einer Herberge zu befragen, und der empfahl ihm das Gasthaus Ad Gallum unweit der Thermen.
***
Keine schlechte Empfehlung! Valerius hatte in einem sauberen, weitgehend wanzenfreien Zimmer eine angenehme Nacht verbracht und fühlte sich nach der langen Reise
Weitere Kostenlose Bücher