Ahnentanz
er Schlechtes von Vinnie dachte. Mochte der Rest der Welt ruhig denken, dass sie ihm grollte, weil er die Flynn-Plantage geerbt hatte, während sie tatsächlich weder ihm noch seinen Brüdern gram war. Er hatte sie an dem Morgen in einer Stimmung düsterer Zurückgezogenheit verlassen, beinahe als wären sie wieder Fremde. So wie er sie angesehen hatte, war sie doppelt froh, dass er die Nacht über bei ihr geblieben war; andernfalls hätte er vielleicht sie verdächtigt, die Voodoo-Puppen platziert zu haben.
Doch als sie ihn gebraucht hatte, überlegte sie ehrlich, war auf ihn Verlass gewesen.
„Mädchen, sind Sie bei mir?“, fragte Ady.
„Was? Ja, aber sicher, tut mir leid.“
„Ich gehe jetzt rein. Warten Sie hier draußen auf Rebecca.“ „Soll ich nicht mit Ihnen hineingehen?“
„Nein, ich würde mich freuen, wenn Sie hier auf Rebecca warten. Ich gebe seit Jahren gut auf mich acht, und ich bin kein Feigling. Ich weiß, welches die richtigen Antworten und welches die richtigen Fragen sind“, gab Ady zurück.
Also blieb Kendall mit ihren Gedanken und Sorgen wieder allein zurück. Und sie fragte sich allmählich, ob sie Ann vielleicht den wilden Abend verdorben hatte und ob es überhaupt richtig gewesen war, die junge Frau zu suchen.
Ady war noch nicht lange im Sprechzimmer, als Rebecca eintraf und Kendall aufstand, um sie herzlich zu umarmen. Die andere Frau sah sie besorgt an und fragte: „Wie geht es Mama?“
„Sie ist erst vor ein paar Minuten hineingegangen.“ Rebecca musterte sie eindringlich. „Ist sie ohnmächtig geworden? War irgendwas, das dich beunruhigt hat?“
Kendall schüttelte den Kopf. „Nein.“ Sie zögerte. „Rebecca, es tut mir leid. Ich kann es nicht erklären. Irgendwas erweckte in mir den Gedanken, sie sollte sich untersuchen lassen.“
Vielleicht war Rebecca nicht sicher, ob Kendalls Instinkt der richtige war, doch offenbar glaubte sie fest, dass sie ihr Herz am rechten Fleck trug. „Okay. Wir warten ab und sehen mal, was herauskommt.“
„Du kannst zu deiner Mom reingehen, wenn du willst“, sagte Kendall.
„Oh Gott, nein. Ich glaube, sie hat eine Schwäche für Dr. Ling. Wie auch immer, sie hat uns beigebracht, niemals zu lügen. Was auch immer los ist, sie wird es uns beiden sagen.“ Gemeinsam setzten sie sich aufs Sofa. Rebecca tätschelte Kendalls Knie. „Wie geht es dir, meine Liebe?“, fragte sie.
„Gut, vielen Dank.“
„Vermisst du noch Miss Amelia?“
„Na ja, ich werde sie immer vermissen. Wir hören ja nicht auf, Menschen zu vermissen.“
„Du hättest die Plantage bekommen sollen, nicht diese erbärmlichen Kerle, die aus dem Nichts auftauchten!“
Kendall war von der Heftigkeit ihrer Freundin überrascht. „Was sollte ich mit einer Plantage tun?“, fragte sie.
„Sie natürlich verkaufen.“
Kendall lachte. „Eigentlich sind diese ‚erbärmlichen Kerle‘
ganz in Ordnung.“
Rebecca verzog das Gesicht. „Nicht wenn es nach Dr. Abel geht!“
Jon Abel war Rebeccas direkter Vorgesetzter. Es gab viele Gerichtsmediziner im Landkreis von New Orleans, doch Rebecca war eine von Dr. Abels Laborassistentinnen. Während sie ihre Freundin erwartungsvoll ansah, erinnerte sich Kendall plötzlich an den Mann, den sie in der Nacht an der Bar gesehen hatte, der ihr bekannt vorgekommen war, obwohl sie in dem Moment nicht gewusst hatte, wo sie ihn hinstecken sollte.
Es war Jon Abel gewesen.
„Warum? Was sagt Dr. Abel denn?“
„Er war so wütend. Offenbar sind die Flynns als Oberschlauberger aufgetreten und haben verlangt, dass er irgendwelchen alten Knochen Priorität einräumt. Weißt du, Liebes, er kann bei der Arbeit manchmal wirklich ein harter Hund sein, aber dieses Mal trifft ihn keine Schuld.“ Rebecca lächelte. „Allerdings sind es verdammt gut aussehende Burschen, das muss ich ihnen lassen“, fügte sie hinzu.
„Du hast sie kennengelernt?“, fragte Kendall neugierig. „Ich sah den Ältesten, als er ins Labor kam. Ich habe ihn nicht wirklich kennengelernt, sondern bekam nur mit, wie er Dr. Abel nervte. Was mir nicht gefiel, weil der Doc dann immer so grantig wird. Ich dachte, dass er einen Anfall kriegen und mich antreiben würde, noch härter und schneller zu arbeiten. Doch er packte diese Knochen nur in eine Schublade – ichglaube, das machte ihm Spaß. Und wie dieser Flynn-Typ auf seinem Friedhof einen Blutfleck entdeckt hat, kapiere ich nicht. Er ließ die Probe durch seinen FBI-Freund bringen. Wahrscheinlich ist sie zu
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