Airport-Klinik
Mary?«
»Vor vier Tagen. Am Dienstag. Sie haben ihn noch in die Community-Klinik gefahren. Er hat gelächelt, als sie ihn in den Wagen schoben. Er hat wirklich gelächelt. Dabei war er doch schon ohne Bewußtsein …«
Community-Klinik. Es war das Krankenhaus der Selbsthilfe-Organisation, von der Chris ihr oft erzählt hatte.
»Ich kam zu spät, Mary …«
»Was hätte es denn geändert, Darling? Ich meine, was hättest du tun können?«
»Bei ihm sein. Ich hab's doch versprochen.«
»Und?« fragte Mary Lane nur und sah sie an. »Komm, geh rein! Ich muß hier noch was erledigen. Dann trinken wir eine Tasse Kaffee.«
Der Drugstore war leer. Mary Lane setzte dann später die Kaffeemaschine in Gang, griff in eine Schublade, holte eine kleine, längliche Schachtel heraus und reichte sie Evi: »Das ist für dich. Er hat es mir letzte Woche gegeben. Er hat es wohl geahnt.«
Evi öffnete schweigend. Sie sah ein etwa daumenlanges, poliertes, mit einer Silberöse versehenes Stück Knochen, in das die eine Hälfte eines Hirschgeweihs graviert war. Ein Indianer-Fetisch. Chris stammte aus Arizona und hatte sich viel mit den Traditionen und der Kunst der Indianer beschäftigt. Den Fetisch trug er als Talisman. Und wenn er spielte, lag er auf seinem Flügel.
»Danke, Mary.«
Mary Lane hatte Evi eine Stunde später nach Los Angeles zur Community-Klinik gebracht. Dort hatte sie mit einem jungen Arzt gesprochen, einem vom Chris' Freunden, den sie auch draußen in Connors-Hill schon getroffen hatte. Chris sei ohne Schmerzen, in einer Art heiteren Ruhe gestorben, sagte Freddy Wilbroke, aber von ihr habe er noch gesprochen.
Die folgenden zwei Tage verbrachte Evi fast ausschließlich im Zimmer ihres Hotels. Dann nahm sie eine Varig-Maschine, um nach Caracas zum Dienst zu fliegen.
Sonne. Die Sonne über den Wolken. Kurz nach zehn am Morgen bereiteten die 270 Passagiere an Bord der ›Hessen‹ ihre Klapptische für das Haupt-Frühstück vor, das die Kabinen-Crew gerade auszugeben begann.
Auch die Cockpit-Besatzung wurde wieder aktiv. Auf der mittleren der drei Flugstraßen, die den Absprung-Punkt Caracas mit Europa verbinden, näherte sich die ›Hessen‹ dem alten Kontinent. Sie hatte die Azoren-Insel Ponta Delgada und auch den 20. Breitengrad bereits überflogen und befand sich nun im Bereich des Funkfeuers von La Coruña, der westlichsten Stadt Spaniens.
Captain Andersen überdachte noch einmal die Wetterberichte, die er gerade abgerufen hatte. Sah alles ganz gut aus. Tommi Willstett, sein Co-Pilot, tippte am Computer, um die anstehenden Kurs-Korrekturen nochmals zu checken. Berghan, der Flug-Ingenieur, kontrollierte zum x-ten Mal die Anzeigen des Triebwerkes 3. Am Morgen hatte es nämlich einen leichten Leistungsabfall angezeigt, doch nun schien sich alles von selbst wieder einzupendeln. Keine Frage: Wenn es im europäischen Luftraum wegen der verdammten Urlaubs-Fliegerei keine Probleme gab, und wenn auch die Situation in Frankfurt am Main einigermaßen normal aussah, dann gab's um fünfzehn Uhr zehn den ›touch down‹, und die Verspätung war ausgeglichen.
Die Kanzel der 747 befand sich an der Spitze des Oberdecks vor den zwanzig paarweise angeordneten, bequemen Schlafsesseln der ersten Klasse. Neben den Toiletten- und Waschräumen führte von dort eine Treppe hinab zur Galley und dem Vorraum der Business-Class.
Hier war Evi Borges gerade damit beschäftigt, die Thermoskannen mit frischem Kaffee aufzufüllen. Nicht weit von ihr, nur zwei Sitzreihen entfernt, schnitt eine alte Dame ein Brötchen auf, um es mit Butter zu bestreichen. Ach, dieses Frühstück nach einer Nacht im Flugzeug! Und die Brötchen, richtig knusprig. Wie sie das nur schafften? Mathilde Werner hatte es immer geliebt: das Frühstück an Bord und die netten Stewardessen. Alles war so hübsch verpackt. Wurst, Marmelade, Butter, Käse. Dazu das Hantieren auf engstem Raum mit dem winzigen Geschirr.
Gewiß, auch ein Frühstück zu Hause konnte schön sein, aber im Flugzeug war es eben ganz anders. Heute hätte sie es wieder richtig genießen können.
Wenn nicht …
Da kam dieser arme Mensch von der Toilette zurück! Hatte schon wieder gemußt. Und hatte auch wieder die Hand auf dem Magen. Na ja, man soll tolerant sein, wenn es jemandem schlecht geht.
Mühsam zwängte sich Mathilde Werner, um ihn auf den Nebenplatz durchzulassen, aus ihrem Sitz und trat auf den Gang. Er schaffte es immerhin, das Tablett in Ruhe zu lassen, als er sich
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