Airport-Klinik
westlichen Säufergemeinde! Weiter: drei schwere Angina pectoris-Anfälle. Eine Gallen-Kolik. Das übliche Quantum an Desorientierten. Ein Epileptiker. Ein ausgekugeltes Schultergelenk beim Sturz von der Rolltreppe. Ein Knöchelbruch, der gegipst werden mußte. Fremdkörper im Auge, Magenblutung – es war eine ruhige, sehr ruhige Schicht gewesen, welche die beiden Ärzte Dr. Walter Hechter und der junge Dr. Olaf Honolka gefahren hatten …
Fritz Hansen ließ den Kugelschreiber fallen. Er zog eine der Schreibtischschubladen auf. Da waren doch noch irgendwo Zigaretten, ein halb angebrochenes Päckchen …? Voll schlechten Gewissens schob er die Schublade wieder zu und erhob sich. Er winkte der Sekretärin und verließ den Raum. Und wen traf er draußen, zwischen Labor und Röntgen-Abteilung? Wer schob da einen Rollstuhl vor sich her? Ausgerechnet Schwester Lukrezia! Und das hübsche rassige Gesicht mit dem roten Mund und den dunklen, feurigen Augen strahlte ihn so spontan an, als habe sie einen Schalter für Glück zur Verfügung.
Drüben aus dem Röntgenraum kam das Kontrast-Programm: Rolf Gräfe mit einem großen Umschlag unterm Arm, die Mundwinkel tief nach unten gezogen, den Blick starr, wie an dem Tag, als es wegen seiner dämlichen Motorradfahrerei eine Auseinandersetzung gegeben hatte.
Hansen zauberte die freundlichste Chefarzt-Miene auf sein Gesicht: »Kinder, im Augenblick liegt ja nichts vor. Ich werde mir mal die Beine vertreten. Falls irgendwas los ist, ihr wißt ja …«
Er klopfte auf das Funkgerät an seinem Gürtel und wollte sich umdrehen, doch da rannte die Schmidt aus seinem Zimmer auf den Gang: »Herr Doktor. Sie sollen sofort ins Tower-Zentrum. Ein Notfall auf einer ankommenden Maschine. Ein Herr Marein hat angerufen. Er erwartet Sie.«
»Was ist denn jetzt schon wieder, verdammt nochmal? Hat er was gesagt?«
»Nein.«
»Na dann, alles klar. Sagen Sie Wullemann, er soll den Hub-Wagen bereitstellen.«
»In Ordnung, Herr Doktor.«
»Und Rolf, ich geb dir Bescheid, falls wir den OP brauchen.«
Gräfe nickte.
Als Hansen im Tower anlangte, erinnerte er sich an seinen ersten Besuch; es war derselbe Eindruck, dasselbe Bild: Geschwungene Wände, mit kreisrunden Sichtgeräten bestückt. Männer davor. Unterdrückte Stimmen. Und am anderen Ende, etwas abgesetzt, ein Leitstand, der aufwendiger ausgestattet schien. Dort saß Edwald Marein, der diensthabende Leiter der Anflug-Kontrolle. Neben ihm stand einer der technischen Direktoren der Lufthansa. Hansen kannte das Gesicht, den Namen hatte er vergessen.
»Kommen Sie, Doktor«, sagte Marein. »Hören Sie zu. Es handelt sich um Folgendes: Auf dem LH-Flug 547 aus Caracas hat anscheinend ein Passagier durchgedreht und dabei eine Passagierin verletzt. Der Mann, der diesen Zirkus veranstaltet hat, scheint schwer krank zu sein. Schon während des Fluges wurde beobachtet, daß er an Beschwerden oder Schmerzen litt.«
Hansen nickte. Caracas? Und Flug 547, das war doch Evis Flug?
»Der Mann ist Kolumbianer«, fuhr Marein fort, »in Bogota zugestiegen. Nach den Angaben des Passes handelt es sich um einen Joaquín Caldas, Geometer, achtunddreißig Jahre alt, wohnhaft in Antioquia, Kolumbien.«
Unter normalen Umständen wäre es vollkommen egal gewesen, woher der Mann kam – falls es so etwas wie ›normale Umstände‹ in dieser Welt noch gab. Aber das Wort hatte sich festgehakt: Kolumbien! Und jetzt verstand Hansen auch den kurzen, bedeutungsvollen Blick, den ihm der Dienststellenleiter dabei zugeworfen hatte.
Marein drückte ein Funksprechgerät in Hansens Hand: »Halten Sie den Knopf. Sie sind mit dem Piloten verbunden, Kapitän Andersen.«
»Hier spricht Hansen, diensthabender Arzt der Flughafen-Klinik.«
»Na endlich, Doktor! Man hat Sie sicher informiert? Wir geben dem Mann Sauerstoff. Wir dachten auch schon an Kreislaufmittel, aber wir wollten Ihre Anweisung abwarten.«
»Und wie geht's ihm gerade?«
»Er rührt sich überhaupt nicht mehr. Der Mann ist blau, fast grau. Pulsjagen, nasse Stirn, Hände eiskalt. Alles, was so dazugehört. Doktor, ich bin noch nie mit einer Leiche gelandet. Tun Sie alles, damit das auch heute nicht der Fall ist!«
»Der Mann hat eine Passagierin angegriffen?«
»Richtig! Eine alte Dame, die neben ihm saß. Er hat ihr das Nasenbein angeschlagen. Sah aus wie ein Anfall geistiger Verwirrung.«
»Kam diese Krise ganz plötzlich? Hat er etwas gesagt dabei?«
»Gesagt? Er hat gebrüllt wie ein Stier. – Hören Sie,
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