Airport-Klinik
vorbeidrückte. Sein Frühstück hatte er auch nicht angerührt. Nicht mal den Kaffee. Nur Mineralwasser trank er, die vierte Flasche schon. Und ganz grün im Gesicht war er auch. Vom Essen gestern abend hatte er ebenfalls kaum etwas zu sich genommen … Und nun hing er in seinem Sitz und schloß die Augen.
Die alte Dame entschied, daß sie es nochmal versuchen mußte: »Ist es Ihnen noch nicht besser? Es geht mich ja nichts an, ich hab Ihnen das ja schon einmal gesagt, Señor … aber ich finde, Sie sollten nun wirklich etwas unternehmen.«
Gab nicht mal eine Antwort, der Kerl. Andererseits war das kein Wunder, wenn er sich so entkräftet fühlte.
»Wissen Sie, ich rede jetzt mit der Stewardeß.«
»Señora«, es kam ganz leise, war nicht mehr, als ein gequältes Flüstern; »Señora, lassen Sie mich endlich in Frieden …«
Mathilde Werner schmeckte das Frühstück nicht mehr. Nicht neben einem solchen Menschen. Resigniert gab sie das Tablett der hübschen Rotblonden zurück, die gerade ihren Wagen den Gang heranschob. Und draußen war Sonne und Himmel, und unten sicher das Meer. Mathilde Werner beschloß, noch ein Nickerchen zu machen.
Wie lange es dauerte, sie wußte es nicht. Nur eines wußte sie, als sie hochfuhr: daß etwas Schlimmes, ganz Schlimmes geschehen sein mußte. Da war ein Geräusch, nein, ein Stöhnen, leise und so von Pein erfüllt, daß es ihr ans Herz ging.
Sie richtete sich auf. Er – wer denn sonst? Da saß er nun, nach vorn gebeugt, den Kopf gegen die Sessellehne der nächsten Sitzreihe gedrückt und zitterte, ja, zitterte.
»Señor? Hören Sie doch, Señor …« Sie griff nach seinem Arm, wollte sich aufrichten, nein, wollte aufstehen, um nach der Stewardeß zu rufen – und da geschah es. Und es geschah viel zu unvermittelt, als daß Mathilde Werner realisieren konnte, wie es passierte und woher dieser schreckliche Schmerz kam, der ihren Schädel zu spalten drohte.
Einen Schatten, ja, das hatte sie noch gesehen, einen Schatten vor ihren Augen. Und dann dieses knirschende Geräusch. Und der Stoß, der sie auf den Sitz zurückwarf … Und der Geschmack von Blut im Mund. Und die Funken, die im Dunkel vor ihr tanzten. Und schlucken mußte sie, immer wieder schlucken, das eigene Blut.
Sie rang nach Luft. Sie öffnete die Augen. Nun wollte sie schreien und konnte es doch nicht.
Ein Gesicht sah sie. Das Gesicht des Mannes, dem sie die ganze Zeit hatte helfen wollen. Aber es war gar kein Gesicht. Eine schreckliche Fratze war es. Die Muskeln tanzten darin, wie an Schnüren gezogen. Die Pupillen waren winzig und schwarz wie Stecknadelköpfe. Und die Zähne – diese Zähne! Das Gesicht eines Dämons. Nicht das Gesicht eines Menschen …
Es hatte sich alles so schnell abgespielt, daß auch den Passagieren auf den nächsten Sitzreihen nicht klar wurde, was eigentlich los war. Gerade hatten sie die Zeitungen entfaltet, ihre Zigaretten oder Pfeifen angesteckt, um sich entspannt zurückzulehnen, als der Schrei sie alle erstarren ließ: Die alte Frau dort? Oh Gott. Blut strömte über ihr Gesicht? Der Kopf hing zur Seite. Und dieser Mensch, dieser Kerl, dieser Irre – er hing über ihr, hielt sie an beiden Schultern und schüttelte sie wie eine Puppe.
Die rotblonde Stewardeß kam angerannt. Sie erhielt einen Schlag, der sie zu Boden warf.
Der erste, der sich aus der Erstarrung löste, war Luis Schober, ein breitschultriger Ingenieur aus München, der im Auftrag seiner Firma nach Venezuela geflogen war. Schober hechtete auf den Gang hinaus und riß den Tobenden an den Schultern hoch: »Sauhund! Jetzt kannst was erleben!«
Doch es war Schober, der die Überraschung seines Lebens erfuhr: Er konnte den Mann zwar zu Boden stoßen, doch der traf ihn dann derartig mit beiden Füßen in den Bauch, daß Schober über die nächsten Sitze flog. Und der Irre brüllte wieder – nein, es war kein Gebrüll; es war der heisere, gurgelnde Laut eines in die Enge getriebenen Tieres.
Zwei weitere Passagiere kamen Schober zu Hilfe und versuchten den Tobenden festzuhalten. Die Chef-Stewardeß rannte zum Telefon. Aber noch immer entwickelte der Verrückte eine so ungeheure Kraft, daß er sich aus der Umschlingung der Arme befreien konnte, sich nun torkelnd erhob – dann aber jäh, den Mund weit aufgerissen, zusammenbrach.
Auf der Treppe am Oberdeck erschien Kapitän Andersen.
Die Pursuette rannte ihm entgegen: »Was ist denn hier los?«
»Möchte ich auch wissen, Robert. Da ist einer völlig
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