Akte X
fand, überraschte ihn zutiefst.
Die schweren Verletzungen des schwarzen Labradors schienen rapide zu heilen, die Wunden zu schrumpfen. Vorsichtig hob er eine Bandage, die er über eine klaffende Wunde am Brustkorb des Tieres gelegt hatte. Obwohl der Zellstoff sich mit Blut vollgesogen hatte, war die Wunde verschwunden. Der Tierarzt wußte, daß es Einbildung sein mußte, bloßes Wunschdenken, daß es ihm irgendwie gelungen war, den Hund zu retten.
Aber das war unmöglich, wie Hughart wußte, auch wenn er tief im Herzen weiter auf ein Wunder hoffte.
Der Hund erbebte und winselte leise. Mit seinem schwieligen Daumen drückte Hughart eins der geschlossenen Augenlider hoch und sah einen milchigen Film auf seiner nach oben verdrehten Pupille, wie ein weichgekochtes Ei. Der Hund lag im Koma. Es war aussichtslos. Er atmete kaum noch.
Die Temperatur hatte mittlerweile beinahe 42 Grad erreicht. Auch ohne Verletzungen mußte dieses Fieber tödlich sein.
Blut quoll aus einem Kratzer an seiner feuchten schwarzen Nase. Als Hughart diese winzige Verletzung sah, das rote Blut, das im schwarzen Fell versickerte, entschied er, das Leiden des Hundes zu beenden. Genug war genug.
Eine Weile betrachtete er seinen Hundepatienten, schlurfte dann zum Medizinschrank, schloß die Tür auf und nahm eine große Spritze und ein Fläschchen Euthanol heraus, konzentriertes Natriumpentabarbitol. Der Hund wog zwischen sechzig und achtzig Pfund, und die empfohlene Dosis lag bei l ccm pro zehn Pfund plus etwas mehr. Er zog 10 ccm auf die Spritze, was mehr als genug sein sollte.
Falls die Besitzer des Hundes zurückkamen, würden sie im Krankenblatt das Kürzel »ES« finden, das ein Euphemismus für »Eingeschläfert« war - was wiederum ein Euphemismus für die Tötung des Tieres war... oder, wie man es auf der Veterinärschule nannte, die Erlösung von seinem Leiden.
Sobald Hughart seine Entscheidung getroffen hatte, zögerte er nicht länger. Er beugte sich über den Hund, stach die Nadel in die Haut unter dem Genick des Hundes und injizierte behutsam, aber entschlossen die tödliche Dosis. Nach seinen schweren Verletzungen zuckte der Hund beim Einstich nicht einmal zusammen.
Durch die halb geöffnete Tür blies ein kühler, klammer Luftzug, aber der Hund fühlte sich noch immer heiß und fiebrig an.
Hughart stieß einen lauten Seufzer aus, als er die gebrauchte Spritze wegwarf. »Tut mir leid, alter Junge«, sagte er. »Jetzt kannst du in deinen Träumen Kaninchen jagen... an einem Ort, wo es keine Autos gibt.«
Das Mittel würde in Kürze wirken, die Atmung des Hundes lahmen und schließlich zum Herzstillstand führen. Unwiderruflich, aber schmerzlos.
Doch zunächst nahm Hughart die Blutprobe und ging ins Nebenzimmer, wo sein kleines Labor untergebracht war. Die hohe Temperatur des Tieres war ihm ein Rätsel. Er hatte noch nie zuvor einen derartigen Fall erlebt. Es kam oft vor, daß Tiere einen traumatischen Schock erlitten, wenn sie von einem Auto angefahren wurden, aber das ging normalerweise nicht mit einem derart hohen Fieber einher.
Das Hinterzimmer war nach einem System, das er im Lauf der Jahre entwickelt hatte, perfekt durchorganisiert, obwohl es einem zufälligen Besucher wahrscheinlich nur unaufgeräumt erschienen wäre. Er knipste die Deckenlampen in dem kleinen resopalverkleideten Laborbereich an und tropfte etwas von dem Blut auf ein Glastäfelchen. Als erstes mußte er die Zahl der weißen Blutkörperchen bestimmen, um festzustellen, ob er an einer Infektion oder Parasitenbefall litt.
Der Hund war vielleicht schon sehr krank, womöglich sogar todkrank gewesen, bevor ihn das Auto erwischt hatte. Dies würde zumindest erklären, warum er dem großen, auf ihn zurasenden Auto nicht ausgewichen war. Wenn der Hund an einer ansteckenden Krankheit litt, mußte Hughart einen entsprechenden Bericht verfassen.
Im angrenzenden Operations- und Pflegebereich bellten und jaulten zwei der anderen Hunde los. Eine Katze miaute, und die Käfige ratterten.
Hughart achtete nicht darauf. Hunde und Katzen machten immer Lärm, und im Lauf der vielen Jahre hatte er sich daran gewöhnt. Es hatte ihn sogar erstaunt, wie still die Tiere waren, obwohl sie sich in einer fremden Umgebung befanden und die Nacht zur Beobachtung in engen Käfigen verbringen mußten. Die meisten waren kastriert oder sterilisiert worden und schon wieder auf dem Wege der Besserung.
Das einzige Tier, das ihm Sorgen machte, war der sterbende schwarze Labrador, und
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