Alantua
meinem
Inneren herrschte, dachte ich gerne an ihn zurück. Auf jene
Nacht waren weitere Nächte gefolgt. Und an den Tagen arbeitete
ich Seite an Seite mit den Männern der
Anjina,
soweit
es meine verletzte Schulter zuließ. Nichts zu tun und einfach
nur zu warten auf die unausweichliche Ankunft im Hafen Ilindes konnte
ich nicht ertragen. So konnte ich den Männern wenigstens zeigen,
dass auch eine Frau die Aufgaben an Bord erledigen konnte. Ich lernte
ihre Arbeit kennen, ich lernte die Männer kennen. Jetzt
vermisste ich sie. Besonders ihren Kapitän. Vermutlich lag es an
dem Leben, das sie führten. Sie waren frei, wirklich frei. Sie
konnten tun und lassen, was sie wollten, konnten alle Ecken der Welt
bereisen, waren niemandem verpflichtet außer ihrem Kapitän
und selbst ihn konnten sie wieder verlassen und bei einem anderen
Schiff anheuern. Wieso konnte ich nicht einfach eine Schmugglerin
sein?
„Ich
kann dich nicht gehen lassen“, hatte er an unserem letzten
gemeinsamen Morgen zu mir gesagt.
„Ich
weiß“, hatte ich geantwortet. Später hatte ich ihm
bereitwillig die Handgelenke hingehalten, bevor wir über die
Planken hinunter in den Hafen von Ilinde traten.
Seit
zwei Tagen waren wir nun unterwegs, reisten zu Pferde zunächst
am Fluss Ili entlang nach Osten. Nördlich des großen
Marahana-Gebirges wollten wir dann den Strom überqueren und nach
Nord-Ost reiten, geradewegs auf Dejia zu. So hatte Malja es
beschlossen. Es gab keine Einwände. Je weiter wir uns von der
Grenze zu Kantú weg bewegten, desto besser war es für
uns. Auch wenn mir die Reise selbst zum Hals raus hing, so hatte ich
auch keine Lust, Kantú so nahe zu sein.
Nun
war ich also wieder Kwarren, Tochter der Königin von Alantua.
Malja hatte mir die Fesseln selbstverständlich nicht abgenommen.
„Wir
haben keine Zeit, auch noch auf Bärenjagd zu gehen“, hatte
sie der protestierenden Phiol erklärt. Und Malja hatte
tatsächlich ein Pferd organisiert, das meine Gegenwart
erduldete, einen gemütlichen, alten Wallach mit breitem Rücken
und dicken Fesseln. Das Tier interessierte sich hauptsächlich
fürs Fressen. Und so taten mir nun sämtliche Knochen weh
von der ungewohnten Fortbewegungsart. Mürrisch sah ich hinüber
zu der Befehlshaberin der königlichen Wache.
Natürlich
hatte Mutter eine Tyron geschickt. Die Familie war dem Königshaus
seit Jahrhunderten treu ergeben und durch zahlreiche Verbindungen eng
an uns geknüpft. Sie hatte ausgerechnet Malja geschickt. Warum
nicht deren Bruder Marlo? Er hatte immer ein Zwinkern für mich
übrig gehabt und behandelte mich mit Nachsicht. Malja aber war
ein perfekt abgerichteter Wachhund, der seiner Herrin so treu ergeben
war, dass er die ältesten Knochen aus den stinkigsten,
dreckigsten Löchern für sie zog. Sie war in unseren
Kindheitstagen Phiols Busenfreundin gewesen und immer schon hatte sie
mich schikaniert und von oben herab behandelt. Phiol hatte mit IHR am
liebsten gespielt, nicht mit mir, obwohl ich doch ihre Schwester war.
Jetzt
saßen die beiden auch wieder auf der anderen Seite des
Lagerfeuers und waren in ein Gespräch vertieft, an dem niemand
anderer teilhatte. Nur heute störte es mich nicht mehr.
Phiol
hatte sich kaum verändert. Sie war noch immer die zarte
Schönheit und ihr Wesen gutherzig und sanft. Damals, auf meinem
Weg nach Westen, hatte mich Phiol gebeten, bei den Amazonen zu
bleiben. Sie hatte dort ein zufriedenes Leben geführt mit Lir,
der noch ein Kleinkind war und den Amazonen, ihren erwählten
Schwestern. Aber ich wollte fort aus Alantua. Jetzt war Lir beinahe
schon ein junger Mann. Alles an ihm ähnelte Phiol, seine Statur,
sein ruhiges Wesen, die dunklen Locken und die grünen Augen.
Wie
viel Zeit vergangen war merkte ich ganz besonders an Anyún.
Das kleine süße Mädchen war zu einer wunderschönen
jungen Frau herangewachsen. Mit ihren roten Locken und den
Sommersprossen sah sie unserer Mutter am ähnlichsten. Anyún
saß nahe am Feuer. Sie las in einem dicken Wälzer mit
rotblauem Einband. Sie wirkte sehr ruhig und nachdenklich. Was
beschäftigte die Kleine? War auch sie nicht ganz freiwillig auf
dieser Reise?
Ich
richtete mich auf und versuchte, mich ein wenig zu dehnen. Der Weg
nach Dejia war noch weit. Ich würde niemals nach Dejia gehen.
Mochte Kantús König gestorben sein, mochte Tallgard ein
wertvoller Verbündeter sein. Ich hatte nichts damit zu tun. Ich
war Bromm, die Bärin aus dem Norden. Irgendwann würde ich
fliehen, nur jetzt noch
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