Alarm auf Wolke sieben
Victoria verstand ihn einfach nicht. Worüber war er so wütend?
„Na, jedenfalls“, sagte er zu dem Kind, „da Gott beim ersten Mal so einen guten Job gemacht hat, hat er sich entschlossen, dir auch deinen Vater zu schicken.“
„Hä?“
„Und das bin ich. Ich bin dein Daddy.“
Sie runzelte angestrengt die kleine Stirn. Dann erhellte sich ihr Gesicht, als hätte sie plötzlich verstanden. „Du tust so, als wärst du mein Daddy.“ Offensichtlich erinnerte sie sich an das Gespräch über die vorgetäuschte Verlobung. Zufrieden mit sich selbst strahlte sie ihn an.
Diesmal runzelte John die Stirn, und Victoria stellte fest, wie ähnlich Vater und Tochter sich sahen. Erstaunlich, dass es noch niemandem aufgefallen war.
John rieb sich den Nacken. „Nein, Schätzchen. Ich bin dein richtiger Vater.“ Er sah Victoria an. „Willst du nur da herumsitzen, oder hast du vor, mir hier ein bisschen zur Hilfe zu kommen?“
Er sah leicht verzweifelt aus, aber noch vor fünf Minuten hatte er vorgehabt, sie zu übergehen, deshalb fühlte Tori sich nicht besonders hilfsbereit. Sie sah ihn an. „Ach, jetzt brauchst du meine Hilfe?“, fragte sie honigsüß. „Und ich dachte, du regelst lieber alles allein.“
Dummerweise ruinierten Schuldgefühle den wundervollen Moment der Selbstgerechtheit. Vermutlich war es nicht der beste Zeitpunkt, sich wie eine Zicke zu benehmen. Schließlich ging es hier um Esmes Zukunft. Zudem hatte sich die Kleine völlig verwirrt zu ihr umgedreht. Sanft strich sie dem Mädchen eine Haarsträhne aus den Augen.
„Es stimmt, Süße. John ist dein richtiger Daddy.“
Esme sah noch immer völlig verwirrt aus. „Aber warum ist er erst jetzt gekommen?“
„Wir wussten nicht, wie wir einander finden sollten, deshalb konnte ich ihm nichts über dich erzählen.“
Schlagartig wurde ihr klar, dass es sehr wohl einen Weg gegeben hätte. Seine Tätowierung! Sie hatte sie in Pensacola oft genug mit ihren Fingerspitzen nachgezogen. Sie wusste ganz genau, wie sie aussah und was darunterstand. Der Name seiner Einheit: „2d Recon Bn.“ Mit diesem Wissen und seinem Spitznamen hätte sie ihn vermutlich finden können. Es wäre sicher nicht einfach und garantiert peinlich geworden, aber hätte sie ihn wirklich in Esmes Leben haben wollen, wäre es möglich gewesen. Plötzlich realisierte sie, wie unfair sie all die Jahre ihm gegenüber gewesen war.
Dieses Gefühl wurde noch verstärkt, als sie sah, wie sanft er seine Tochter ansah, die sich ihm wieder zugewandt hatte.
„Du bist schon ganz schön lange hier“, sagte das kleine Mädchen. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du mein Daddy bist?“
„Weil deine Mom – also, weil wir – sichergehen wollten, dass ich auch ein guter Vater bin, bevor wir es dir erzählen. Hätte ja nichts gebracht, es dir zu erzählen, wenn ich mich als Niete erwiesen hätte.“
„Du bist keine Niete.“
„Nun ja, das haben wir jetzt auch festgestellt. Ich bin“, er räusperte sich, „anscheinend doch gut genug, um dein Papa zu sein.“
Victorias Herz schmolz.
Esme sah ihn mit großen leuchtenden Augen an. „Du bist wirklich mein Daddy? Ganz ehrlich?“
„Ja.“
„Bleibst du jetzt für immer und ewig bei Mami und mir?“
„Nein!“ Wie grob ihm das Wort herausgerutscht war! Viel sanfter, aber dennoch bestimmt fuhr er fort: „Nein. Ich bin zwar dein echter Daddy, aber die Verlobung ist trotzdem nur vorgetäuscht. Ich weiß, es ist sehr verwirrend, Kleines, aber du musst es für dich behalten.“
Er warf Victoria über Esme hinweg einen finsteren Blick zu.
Es fühlte sich an, als hätte er sie geohrfeigt. Tja. Deutlicher kann man es wohl nicht sagen. Offensichtlich war sie gut genug, um mit ihm ins Bett zu gehen, aber er hatte gerade eindeutig klargestellt, dass er nicht vorhatte, bei ihr zu bleiben.
Der Schmerz war unerträglich. Victoria wandte sich leicht von den beiden ab, als Esme anfing, John mit Fragen zu bombardieren. Sie starrte durch die Blätter hindurch in das neue Büro ihres Vaters und bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck.
Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander wie in einem Kaleidoskop aus Wortfetzen und Bildern. Er hatte ihr nie versprochen, zu bleiben. Und doch war da sein Beschützerverhalten … Ihre Nervenenden schienen in Flammen zu stehen. Sie hatte wirklich geglaubt, ihre Beziehung ginge inzwischen weit über Sex hinaus, dass sie ihm wirklich etwas bedeutete. Oh Gott, es tat so weh.
Es tat so verdammt
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