Alarm im Tunnel Transterra
endlich damit auf, Inspektor! Ich habe es satt, dauernd auf Ihren moralischen Zeigefinger starren zu müssen. Ob Sie es wollen oder nicht, wir müssen versuchen, Frieden zu halten!
Verstehen Sie das nicht? Stecken wir doch beide ein Loch zurück, wir müssen jetzt zusammenhalten. Es hat doch schon einmal geklappt…“
„Weil Sie Ihre Haut retten wollten, Magister!“ sagte ich schroff.
„Nein.“ Er ließ sich nicht mehr provozieren, und dadurch fühlte ich mich ihm plötzlich unterlegen. „Nein, es ging mir nicht nur um mein Leben, und ich war bereit, es für die HELIOS-Leute hinzugeben. Sie doch auch! Es ging Ihnen doch ebenfalls um Ihre Ehre, worum denn sonst…“
„Ich tat es aus einem ganz anderen Grund, Magister Spinks!
Das ist so…“ Und plötzlich wußte ich nicht mehr weiter. Warum eigentlich war ich dazu bereit gewesen? Ich – der ich so am Leben hänge, all seine Freuden und Leiden liebe! Was war meine Veranlassung? Es gibt wohl niemanden, der sich mit einem ehrlichen Hurra dem Tod in die Arme wirft. Weshalb, verdammt noch mal, war ich dazu bereit gewesen? Mir fielen nur Begriffe ein, die Spinks schon längst ausgesprochen hatte: Kameradschaft, Treue, Vaterlandsliebe und – ja, auch Ehre!
Aber da mußte es doch noch einen Unterschied geben!
Spinks glaubte fest an diese Werte. Das wagte ich nicht an-zuzweifeln. Ich glaubte auch daran. Menschenwürde mußte ich noch hinzufügen, die hatte er vergessen. War das der Unterschied? Der Unterschied lag wohl eher im Kastendenken der Korenther begründet. Magister Spinks’ Moralbegriffe wurden mißbraucht. Sie wurden vergewaltigt, und er war sich dessen nicht bewußt. Wie sollte ich ihm das sagen?
„Hätten Sie Ihr Leben gewagt, wenn nicht ein einziger Korenther bei der HELIOS-Expedition gewesen wäre?“ fragte ich.
„Ja“, entgegnete er fest, „für jeden Raumflieger, gleich welcher Nationalität. Wir Raumfahrer sind doch eine verschwore-ne Gemeinschaft.“
Ich spürte, das war ehrlich gemeint. Meine zweite Frage war heimtückisch und wirkungsvoll. „Und für eine Flotte von Expeditionsschiffen, die nur von Synthomen gesteuert wird?“
Er zögerte und sagte schließlich: „Auch für Bob hätte ich es riskiert.“
„Wenn Bob nicht dabei gewesen wäre?“
Sein Schweigen beschämte ihn. Er scha ute mich verwirrt an und fragte unsicher: „Hätten Sie es denn getan?“
Ich stutzte. Mit dieser Gegenfrage hatte er mich überrumpelt.
War ich berechtigt, so leichthin mit „selbstverständlich“ zu antworten? War ich mir dessen so sicher?
Bob fing meinen scheuen Seitenblick mit großen, weit aufgerissenen Augen auf. Bestimmt hatte er kaum die Hälfte verstanden, aber die letzten Worte mußten eine Saite seiner verkümmerten, zarten Seele zum Schwingen gebracht haben. Sein Blick war keine Frage, nein, viel schlimmer, er war freudige Erwartung. Bob war sich hierbei sicher. Er kannte die Antwort und freute sich wie ein kleines Kind darauf, daß ich sie aussprach!
Mich durchströmte heißer Stolz. Auf einmal wußte auch ich es. Ja, ich würde es tun. Mein Zweifel konnte nur ein Rudiment aus längst vergessener, aber gelegentlich noch unbewußt empfundener Vorzeit gewesen sein! Und nun hatte ich auch den Unterschied gefunden: Magister Spinks fühlte sich seiner mißbrauchten Ehre verpflichtet, ich war stolz auf meine aus der Menschenwürde und Achtung des Lebens geborene Ehre! Es war der Stolz, der unsere Welten trennte, der Stolz, Mensch zu sein.
Meine Antwort war eine Brücke, über die Spinks nur zu gehen brauchte, um auf der anderen Seite sein anderes Ich zu treffen. „Ich glaube, Magister, Sie hätten es auch getan.“
Er konnte sich nicht entschließen, die Brücke zu betreten, und hatte wahrscheinlich Angst vor dem Abgrund, den sie überspannte. Mein Optimismus war verfrüht, wie sich bald erweisen sollte.
Bob sah den anderen zuerst. Er zupfte mich am Ärmel und zeigte mit glänzenden Augen auf den Ausgang des Magens.
Mein Blick folgte dem ausgestreckten, dürren Zeigefinger, durch dessen Haut das Weiß der Knochen zu schimmern schien, und wurde starr, als er sein Ziel erreichte.
Ein fremdes Wesen stand reglos vor uns. Der glockenförmige Rumpf schimmerte wie dunkelbrauner Samt. Der untere Rand war leicht abgespreizt und erinnerte an einen im Wind flatternden Mädchenrock – weiche, wellige Falten liefen, sich allmählich einebnend, nach oben. Das Wesen stand auf fünf biegsamen, tentakelähnlichen Gliedmaßen wie auf den
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